Dich preise ich, Zensur
Als die Schriftstellervereinigung "Gruppe '47" 1967
zum letzten Mal tagte, wurden die anwesenden Autoren von einem Sprechchor des
SDS mit Hohn und Spott überschüttet: "Dichter!
Dichter! Die Gruppe 47 ist ein Papiertiger". Gemeint war damit, alle
literarische Kritik an der Gesellschaft bleibe auf dem Papier und werde nicht
zur gesellschaftsverändernden Praxis.
1968 erschien das berühmte "Kursbuch 15", in dem
Hans Magnus Enzensberger schrieb: "Heute
liegt die politische Harmlosigkeit aller literarischen, ja aller künstlerischen
Erzeugnisse überhaupt offen zutage. [...] der Dichter steht hoch im Kurs, aber
er hat nichts zu melden."
Literatur, im Grunde jegliche Kunst, wäre demnach weiter
nichts als Trallala, harmlos unverbindliches Spiel.
Fast 40 Jahre später stelle im Usenet in der Theatergruppe einer
die Frage: "Was ist Theater?" und erhielt von einem anderen die
Antwort: "Ein Spiegel, der Hofnarr an den Höfen der Mächtigen und Bürger".
So sind's, die Künstler. Sie debattieren darüber, ob Kunst
Wirkungen auf die Welt habe und neigen dazu, dies zu verneinen; Kunst, sagen
sie, bewirke nichts. Sie zaubere eine Scheinwirklichkeit herbei, in der es sich
gefahrlos leben lasse.
Da schreibst du ein flammendes Gedicht, da hampelst du auf
der Bühne rum in einem erleuchtenden Stück und das Publikum lacht sich tot, verläßt
unverändert das Theater, während die Mächtigen ungerührt ihren Geschäften nachgehen.
Die wirklich Mächtigen wissen, daß dies Unfug ist und sie haben
deshalb die Zensur erfunden.
Zensur wird angeordnet, von Leuten, die wissen, was Macht
ist, denn sie sind an ihr. Sie haben Gewehre und Kanonen und sperren Leute ein,
weil sie Angst haben vor Worten.
Im Rumänien Ceausescus mußte jeder, der eine Schreibmaschine
besaß, diese registrieren lassen. Er mußte eine Schriftprobe dieser Maschine
bei der Polizeibehörde hinterlegen, damit man sie gegebenenfalls anhand des
Schriftbildes würde identifizieren können. Auch war der Besitz einer
Schreibmaschine nicht selbstverständliches Recht eines jeden Bürgers, dieses
Recht konnte auch wieder entzogen werden.
Für eine Schreibmaschine brauchtest du dort und damals eine
Lizenz, eine Art Waffenschein.
Die Leute, die da Angst hatten vor dem Wort, das waren keine
alten Jungfern, die erbleichen, wenn sie so grauenhafte Wörter wie
"Arsch" oder "Scheiße" hören. Das waren knallharte
Burschen. Leute, die über ein Land herrschten, die Macht hatten, die diese
Macht genossen und ihre Macht behalten wollten. Und die jeden, der ihre Macht
bedrohte, ins Gefängnis werfen ließen, ihn womöglich umbrachten.
Diese Leute fürchten sich vor einer Schreibmaschine als wäre
es ein Gewehr.
Kann es ein schöneres Kompliment für die Kunst geben als die
Zensur?
Was meinst du? Es müßte mit dem Deibel zugehen, sagst du,
wenn es kein schöneres Kompliment für Kunst gebe. Du hast recht, freilich
gibt's schönere Komplimente, kaum aber beweiskräftigere.
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