Würde
Vor langer, langer Zeit gab es mal eine Zeit, da
ich regelmäßig "DIE ZEIT" las. Die Reisebeilage habe ich selbst damals
nur rasch überblättert, bei obigem Bild aber bin ich schon beim
Blättern hängengeblieben.
Dem zuständigen
Redakteur schien das Bild nicht mehr bedeutet zu haben, als eine kleine
Kuriosität am Rande, das legt die eher harmlos spöttelnde Unterzeile
nahe:
"Je pittoresker, desto besser: Touristen in Tibet".
Der
Mann ist vielleicht ein tibetischer Mönch, wahrscheinlich aber ganz
einfach ein alter Tibeter in der landesüblichen Tracht. Er muß sich
die kleine Steigung des Weges recht mühsam hoch kämpfen, tut dies aber
auf eine ruhige Weise, die ihn zwar langsam aber eben doch vorankommen
läßt. In der linken Hand hält er eine Gebetsmühle, gewohnheitsmäßig,
wie zu vermuten ist. Jedenfalls macht er das, was immer er macht, mit
großer Ruhe und bewundernswerter Würde.
Und
dann die beiden fotografierenden, filmenden Touristen, die den alten
Mann gestellt haben wie ein zu jagendes Wild. Die sich vor ihn
hinstellen und ihm die Kameras vor Gesicht halten, als wäre er nichts
anderes als eine Hausfassade oder ein interessantes Detail an einem
Brunnen. Sie gehen auf eine schamlose Art und Weise an den Alten
heran, die sie sich zuhause - wetten! - nie und nimmer trauen würden.
Ich
bin sonst ein wenig allergisch gegen das Wort "Würde", es ist gar zu
abgelutscht und oft mißbraucht. Hier erscheint es mir angebracht.
Geschändete Würde.
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