Der Stau
und seine Beziehung zum Ungewußten
Zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten gehören die
Meldungen über Staus auf den Autobahnen zum selbstverständlichen Service jeder
Radiostation. Ein bundesweiter Sender wie der Deutschlandfunk meldet zuzeiten lediglich
jene Staus, die über 5 oder 10 oder gar 15 oder 20 km lang sind.
20 km Stau - das gibt zu denken. In Deutschland liegen
die Autobahnausfahrten relativ dicht beieinander. 10 km Fahrt zwischen zwei
Ausfahrten ist schon lang, häufig sind
die Abstände deutlich kürzer, vor allem in den Ballungsgebieten, wo auch die
Staus wahrscheinlicher sind.
Ich, der ich in inzwischen 40 Führerscheinjahren sehr
selten in wirkliche Staus gekommen bin, stehe jedesmal fassungslos vor der
Radiomeldung von 20 oder 30 km Stau. Viele dieser im Stau festsitzenden Autos
stehen doch unmittelbar vor einer Autobahnausfahrt, die müßten doch bloß nach
rechts lenken und könnten dann auf der Landstraße weiterfahren. Unbequem und
vielleicht nur langsam weiterfahren, aber eben doch weiterfahren, statt für unbestimmte Zeit hilflos im Stau feststecken zu müssen. Das ist ja
das Unangenehme am Autobahnstau: dieses hilflose Ausgeliefertsein an eine
Situation, die du nicht mehr beeinflussen kannst. Das kann bald wieder weiter
gehen, das kann aber auch noch viele Stunden so dauern.
Warum, frage ich mich seit langem, fahren die Leute
nicht raus?
Weil's dort auch nicht weitergeht, werden einige
sofort antworten. Andere Autofahrer, so die naheliegende Überlegungen haben die
Staumeldungen im Radio gehört, sie haben die Autobahn lange vor dem Stau
bereits verlassen oder sie fahren gar nicht erst drauf. Sie fahren nun auf der Landstraße
und die ist natürlich noch schneller verstopft als die Autobahn. Es geht also
auch dort nicht weiter.
Vor vielen Jahren fuhren wir Ende August von Regensburg
aus an die norditalienische Adria. Lange vor Salzburg hörten wir auf Ö 3, daß
es vor dem Tauerntunnel einen ca. 3 km langen Stau gebe. Es wurde eine
Umleitungsempfehlung über die Autoverladung Mallnitz gegeben. Wir haben lange
hin und her überlegt, ob wir dieser Empfehlung folgen sollten. Wir dachten, es
werde auf dieser empfohlenen Umleitung der Teufel los sein, weil jetzt alle,
die noch nicht im Stau stehen, von der Autobahn runter fahren und diese Route
benützen werden.
Wir sind dann doch abgebogen und - nichts war. Total
tote Hose auf der Straße nach Mallnitz. Auch bei der Autoverladung war nichts
los, keine Wartezeit, wir konnten sofort auf den Zug fahren und waren in
kürzester Zeit durch den Eisenbahntunnel durch. Und die ganze Zeit über hörten
wir wieder und wieder die Meldungen, daß der Stau vor dem Tauerntunnel immer
länger werde und man doch bitteschön auf die Autoverladung...
Auf der Rückfahrt ist uns das gleiche noch mal
passiert, diesmal von der anderen Seite. Die Tauernautobahn war bereits kurz hinter
Klagenfurt absolut dicht, wir sind auf der parallel dazu verlaufenden
Bundesstraße gefahren, auf der normaler Verkehr ohne Behinderungen war. Und
immer wieder öffnete sich der Blick zur Autobahn mit den stehenden Kolonnen.
Warum also fahren die Leute nicht raus?
Die Erklärung liefert vielleicht eine
Beobachtung aus den letzten Jahren. In den späten neunziger Jahren wurden die
Routenplaner schnell zu absoluten Rennern auf dem Markt für Computerprogramme. Damals
habe ich mich gefragt, wozu die gut seien. Wer eine ordentliche Karte hat, sagte
ich mir, braucht doch kein Computerprogramm, um den schnellsten oder sonstwie
günstigsten Weg von A nach B für sich rauszusuchen. Kurz drauf wurden die
Navigationssysteme immer billiger und sind heute in den größeren Autos schon
serienmäßig drin. Wer braucht so was wirklich, außer vielleicht Vertretern oder
Taxifahrern?
Möglicherweise ist es vielleicht tatsächlich nicht nur
die pure Lust an der technischen Spielerei, was Routenplaner und
Navigationssysteme so beliebt macht.
Eine Bekannte in Regenstauf hat mir mal erzählt, daß
es bei Urlaubsfahrten oft ein rechter Streß für sie sei, dort hinzufinden, wo
sie hinwollten. Und wenn sie glücklich dort seien, kämen sie oft nur noch
schwer zurück, weil sie den Weg andersrum nicht wiedererkennen würden.
Straßenkarten? Nein, mit Straßenkarten könnten sie beide nichts rechtes
anfangen.
Ist das die Erklärung für die kilometerlangen Staus?
Daß die Leute ganz einfach drauf angewiesen sind, auf der gut beschilderten und
nicht zu verfehlenden Autobahn zu bleiben, weil sie sich in der freien Prärie
hoffnungslos verfahren würden?
|