Im
Jahr 2000 hatte man in den Unterlagen des
DDR-Staatssicherheitsdienstes Beweise dafür gefunden, daß
die Stasi seinerzeit die Telefonate bundesdeutscher
Spitzenpolitiker abgehört hat. Die Beweise bestanden in
Tonbändern und den jeweiligen Abhörprotokollen. Es
entbrannte eine heftige Diskussion um die Frage, ob man diese
Abhörprotokolle veröffentlichen dürfe oder nicht.
Spenden?
Die Angst vor den
Akten der Stasi
Als der Nationalpreisträger Wolf Biermann noch jung und
Staatsfeind war, besang er in der berühmt gewordenen
"Stasi-Ballade" die Genossen im schwarzen
Kunstledermantel. Alles, was er sage oder tue, hieß es dort,
zeichneten die "Brüder von der Sicherheit" auf, so
daß ihm die Stasi schließlich zum Eckermann, seinem
zuverlässigsten Biographen würde.
Biermann, so wird aus dem Geschrei dieser Tage
deutlich, war nicht der einzige. "Die Stasi hat die
politische Klasse der Bundesrepublik flächendeckend abgehört"
schreibt Robert Leicht im Leitartikel der ZEIT vom 6. April 2000.
Leicht argumentiert leidenschaftlich gegen die
Weitergabe der Abhörprotokolle. Diese Unterlagen seien
"auf kriminelle Weise zustande" gekommen, es
seien "heimtückisch erlangte Informationen"
und ein Grundprinzip des rechtsstaatlichen Strafverfahrens
verbiete es, rechtswidrig beschaffte Beweismittel zu verwerten.
Nun muß ich kein Verfassungsrechtler vom
Schlage eines Bubi Scholz sein, um den Haken an dieser
Argumentation zu erkennen. Das gelegentlich Gucken von
Fernsehkrimis lehrt mich, daß sich das von Robert
Leicht bemühte Verbot auf die ermittelnden Behörden
bezieht.
Beweismittel, die von den ermittelnden
Behörden rechtswidrig beschafft wurden, dürfen
danach vor Gericht nicht mehr verwertet werden. Der Kommissar, der
ohne Durchsuchungsbefehl die Tatwaffe mit den Fingerabdrücken
des Verdächtigen findet, riskiert die Wertlosigkeit dieses
Beweismittels.
Findet dagegen der Kommissar bei einer legalen
Durchsuchung des Hauses von Mafioso A Material, welches den
Mafioso B belastet, von Mafioso A jedoch rechtswidrig
beschafft wurde (so sind's halt, die Mafiosi), kann er diesen
von ihm rechtmäßig erlangten Beweis ohne Schwierigkeit
in den Prozeß einbringen.
Im "Fall Kohl" hat nicht die
Bundesrepublik Deutschland die Herren der CDU bespitzelt (na,
vielleicht doch), sondern die DDR. Deren Unterlagen wiederum sind
rechtmäßig, nämlich durch Erbschaft, in den
Besitz der Bundesrepublik gelangt.
Doch davon einmal abgesehen: Sind die
Stasi-Abhörprotokolle wirklich "rechtswidrig
erlangte Beweismittel"?
Bis zu ihrer Selbstauflösung war die DDR
ein politisch souveräner Staat. Eine Tatsache, die seit den
siebziger Jahren (Sie erinnern sich noch an Willy Brandt, ja?)
auch von der Bundesrepublik völkerrechtlich anerkannt
worden war.
Jeder Staat der Welt erlaubt sich als Kollektiv
Dinge, die er seinen Bürgern als Individuen strikt verbietet,
wie zum Beispiel die Herstellung von Banknoten (Bundesbank) oder
Leichen (Bundeswehr). Jeder Staat beauftragt seine
Geheimdienste damit, auf "heimtückische"
(wie sonst?) Weise vertrauliche Informationen über andere
(vorzugsweise feindliche) Staaten zu erlangen. Auch Herr
Leicht räumt dem Staat dieses Recht ein: "Die Stasi
hat die politische Klasse der Bundesrepublik flächendeckend
abgehört; die westlichen Geheimdienste werden
umgekehrt kaum anders verfahren sein...". Mit dem, beim
flüchtigen Lesen etwas rätselhaften, Nachklapp "...und
vielleicht nicht nur umgekehrt" unterstellt er
westlichen Geheimdiensten, daß sie auch die eigene
"politische Klasse" abhören.
So wie ich Herrn Leicht einschätze, wird
er Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz etc. pp. nicht
pauschal als Verbrecherbanden einstufen. Womit er aber
andererseits das gleichartige Vorgehen des
Staatssicherheitsdienstes der DDR nicht als rechtswidrig
bezeichnen kann.
Nach dem Wertesystem und der Rechtsordnung der
Bundesrepublik Deutschland sind die Abhörprotokolle der Stasi
nicht rechtswidrig zustande gekommen. Selbst wenn sie es wären,
so sind sie nicht rechtswidrig in den Besitz der Bundesrepublik
gekommen.
Das Beweismittelverwertungsverbot der
Strafprozeßordnung spricht demnach nicht dagegen, diese
Protokolle im Dienste der Wahrheitsfindung auszuwerten.
Das mag ja sein, wird Robert Leicht verärgert
einwenden, um dann auf den "Schutz ... der Privatsphäre
und jener 'informationellen Selbstbestimmung'" zu pochen,
welche "das Bundesverfassungsgericht einst zum Rang eines
Grundrechts erhoben hatte - dieser Schutz gehört zu den
Grundsteinen einer freiheitlichen Demokratie. Dieser Schutz steht
jedermann zu, auch Helmut Kohl; niemand muß ihn sich erst
durch Wohlverhalten verdienen."
Falsch, Herr Leicht, ganz falsch. Jeder muß
sich dieses (und jedes andere) Grundrecht durch Wohlverhalten
verdienen. Wenn Sie sich nicht wohl verhalten und Einbrechen gehen
(was Sie gottlob nicht nötig haben), werden Ihren
Grundrechten auf Freiheit und Freizügigkeit im Rahmen
einer Gefängniszelle sehr enge Grenzen gesetzt. Und sollten
Sie eines Tages der PDS beitreten, werden Sie sich damit abfinden
müssen, daß Ihre Telefonate abgehört, ihre
Briefe gelesen und ihre Schritte beobachtet werden.
Alle Grundrechte, einschließlich des
Rechts auf Leben, sind einschränkbar - und sie werden
eingeschränkt, ganz selbstverständlich, streng
legal, tagtäglich.
Niemand hat bislang ernsthaft gefordert, aufs
Geratewohl in den Akten der Stasi zu schmökern, in der
Hoffnung, es werde sich darin doch irgendeine Schweinerei von
irgendwem finden.
Nicht um ziellose Neugier geht es, sondern
darum, daß Herr Kohl und einige andere dringend verdächtigt
sind, Straftaten begangen zu haben. Es mag das Nichtverbuchen
von Parteispenden nicht strafbar sein, das Schleusen von
Schwarzgeld über geheime Konten und an jeder Steuer vorbei
ist es allemal.
Dies aufzuklären ist für die
Sozialhygiene des Gemeinwesens Bundesrepublik Deutschland
elementar.
Aber machen wir uns nichts vor: Bei all diesem
aufgeregten Diskutieren über den Schutz der Privatsphäre
geht es gar nicht um irgendwelche pikanten Bettgeschichten
irgendwelcher dicken Männer.
Es geht darum, daß Herr Kohl die Namen
der Spender nicht nennen will - und warum er schweigt.
Schweigt er, weil die Spender sich genieren,
als Sympathisanten der CDU bekannt zu werden?
Lächerlich! Wer immer in der Lage ist, wem auch immer Gelder
in sechs- bis siebenstelliger Höhe zu spenden, bewegt
sich in einer Einkommensklasse, in welcher Sympathien für die
CDU unvermeidlich sind.
Das beharrliche Schweigen des Alten kommt
daher, daß die "Spenden" keine Spenden sind.
Sondern?
Sondern Honorare. Honorare, die an die CDU
gezahlt worden sind für Dienstleistungen, wie sie
nur eine Regierungspartei erbringen kann.
Wären diese Gelder wirklich "gespendet"
worden, so wie unsereiner an die Johanniter oder die Caritas
spendet, dann hätten die Spender darauf bestanden,
daß jeder einzelne Betrag ordnungsgemäß verbucht
wird. Nur so hätten sie ihre steuermindernden
Spendenquittungen bekommen können, nur so hätten
ihre Namen als großherzige Spender leuchten können.
Die Zahlungen aber wurden verschleiert und
mußten verschleiert werden, um den Zusammenhang zwischen
ihnen und geschäftsfördernden Entscheidungen der
Regierung zu verdecken.
Jeder weiß, daß die Spenden
Schmiergelder sind. Jeder weiß aber auch, daß der
Zusammenhang zwischen Geldzahlung und Dienstleistung normalerweise
nicht beweisbar ist.
Und plötzlich tauchen Abhörprotokolle
auf!
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