Rohkost
Mitte
der achtziger Jahre waren wir im Urlaub in einem Hotel in Italien. Es gab dort
ein reichhaltiges Frühstücksbüfett, abends ein Salatbüfett - eine große
Vielfalt an Gemüse, schön angerichtet - bei
dem sich jeder aufladen konnte, was und wieviel er wollte, dazu Essig und Öl
und Saucen nach Geschmack.
Nun
muß ich vorausschicken, daß ich bis dahin nie ein großer Salat- und
Gemüse-Esser war. Als Metzgersohn habe ich von jeher Fleisch und Knödel und
sonstige deftige Speisen vorgezogen. Hier aber habe
ich reichlich aufgeladen, und hätte manchmal auf das eigentliche Essen gern
verzichtet, wenn ich dafür mehr vom Salat hätte essen können.
Und dann höre ich, wie am Nebentisch ein Mann in scharfem Ton zu seinem ca.
15jährigen Sohn sagt: "Die Rohkost wird aufgegessen!"
"Rohkost" - das Wort hat mich getroffen wie ein Schlag. Freilich,
wenn man das Zeug "Rohkost" nennt und den Leuten aufzwingt, dann mag
es freilich keiner mehr essen. Das Gemüse war hier für mich ein Genußmittel
allererster Sahne, das Wort "Rohkost" aber schmeckt derart nach
Verzicht, Vernunft und Gesundheit, daß es - bei Heranwachsenden gleich gar -
semantischen Ekel vor endgeilen Sachen erzeugen kann.
Kinder, die regelmäßig den Salat stehen lassen, bekommen irgendwann
keinen mehr vorgesetzt. Dann fragen sie eines Tages selber nach, wieso sie
keinen bekommen, die anderen aber schon...