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Im Lichtkreis einer Straßenlaterne sucht ein
sichtlich betrunkener Mann mit großem Eifer den Boden ab. Ein des
Weges
kommender Passant frägt, was er verloren habe, bietet Hilfe an. -
"Ein
Fünfmarkstück", klagt der Betrunkene, "muß mir beim
Pinkeln da hinten",
er deutet auf ein entferntes, dunkles Stück des Weges, "aus der
Tasche
gefallen sein." - "Aber warum", frägt der Passant irritiert,
"suchen Sie dann hier und nicht dort hinten?" - "Na, Sie sind
gut. Dort hinten ist es zum Suchen doch viel zu dunkel."
Suchen, wo das Licht am hellsten
Zur
Absenkung der Promillegrenze von 0,3 auf
0,5 ‰
Dichter, denen
absolut nichts mehr einfällt,
die aber trotzdem ihren Verlagsvorschuß abarbeiten
müssen, schreiben gern
Autobiographisches. Gesetzgeber in der gleichen Zwickmühle
von Ratlosigkeit
und Zugzwang, neigen dazu, Strafgesetze zu verschärfen. Ohne
Kosten zu
verursachen, vermitteln verschärfte Strafgesetze das angenehm
prickelnde
Gefühl rechtschaffener Entschlossenheit.
Einer jener
Problembereiche, welche immer
wieder gerne zu Strafverschärfungsphantasien anregen, ist
Alkohol im
Straßenverkehr. Wie die Zahl der zugelassenen Autos steigt auch
der Verbrauch
an Alkoholika. Mit über 12 Liter reinem Alkohol pro Kopf und Jahr
führt das
wiedervereinigte Deutschland inzwischen die feuchte Weltrangliste an.
Alkohol
und Straßenverkehr ergeben zusammen eine
hochgefährliche Mischung, sind doch
alkoholisierte Autofahrer verantwortlich für einen Gutteil
der
Verkehrsunfälle, einen Großteil der Verkehrstoten.
Und dabei wird
- unter den Händen eifrig
dran herumtherapierender Experten - das Problem
größer und brisanter.
Unbeeindruckt von empfindlichen Strafen und der - angeblich so
gefürchteten - Medizinisch-Psychologischen Untersuchung jagen
Deutschlands
Schluckspechte über die meist nächtlichen Straßen.
Über 250.000
Führerscheinentzüge und Fahrverbote pro Jahr lassen sich bei
einer vorsichtig
geschätzten Dunkelziffer von 1:1000 auf 250 Millionen
Trunkenheitsfahrten
pro Jahr hochrechnen, womit auf jeden Einwohner der Bundesrepublik
Deutschland
mehr als drei Alkoholfahrten pro Jahr kommen.
Rein
rechnerisch, nicht wirklich, denn der
Löwenanteil der Promillefahrten geht auf das Konto eines eng
umgrenzten
Personenkreises.
Oft und oft...
Es sind immer
die gleichen, die betrunken fahren.
Der Grund hierfür ist entsetzlich einfach: Es
zahlt sich aus!
Wer überhaupt
betrunken fährt, fährt nämlich nicht nur oft
betrunken, er fährt in der Regel auch stark
betrunken, trinkt also viel und verträgt auch viel. Wer
viel verträgt, trinkt offensichtlich oft und dann jeweils
viel, weil ihm anders die Kondition dafür fehlte. "Ohne
Fleiß kein Preis!" - das weiß nicht nur der
Sportlehrer, wenn er vom Langlauf spricht, sondern auch der
Stammtischbruder,
der einen nach drei Bierchen bereits bleichen Buben mild belächelt.
Anders als der
mäßige Trinker, der sich ab und
an ein Räuscherl gönnt, steht der routinierte Schluckspecht
nicht zweimal im
Jahr vor der Frage, ob er noch fahren soll, sondern viermal die Woche
(oder
öfter). Das Taxi kommt unter diesen Umständen viel zu teuer,
der Fußmarsch wäre
schon nüchtern zu lang und eine Mitfahrgelegenheit ist sowieso
graue Theorie.
Finden Sie mal nachts um eins beim Schwanenwirt von Unterdingharting
einen - nüchternen
(!) - Autofahrer, der Sie nach Mitterdingharting mitnimmt!
Demgegenüber
ist die Gefahr, erwischt zu
werden, kalkulierbar gering. Natürlich gibt es
Alkoholkontrollen, natürlich
ist das Unfallrisiko unter Alkoholeinfluß drastisch erhöht.
Trotzdem führt die
feuchte Fahrt fast immer ohne Zwischenfälle ans Ziel. Eine - wie
gesagt:
vorsichtig geschätzte, in Wirklichkeit sehr wahrscheinlich
noch höhere -
Dunkelziffer von 1:1000 bedeutet für den einzelnen Promillefahrer,
daß die
Wahrscheinlichkeit, bei seiner jeweils nächsten
Trunkenheitsfahrt ungeschoren
davonzukommen, 99,9 % beträgt.
Das
Verhältnis von Kostenersparnis durch die
Trunkenheitsfahrt einerseits und Bestrafungsrisiko andererseits ist
für den
Promillefahrer also alles in allem nicht ungünstig und durchaus
verlockend.
...und immer wieder
So
verlockend, daß selbst der bereits eingetretene Schadensfall -
Führerscheinentzug
und Geldstrafe, manchmal auch ein Unfall - an dieser Bereitschaft
zur
Regelverletzung auf Dauer nichts zu ändern vermag. Wer nach einer
Vorstrafe
wegen Alkohol im Straßenverkehr seinen Führerschein
wiederbekommt, wird im
Normalfall irgendwann wieder - und dann auch wieder
regelmäßig - mit
Alkohol fahren. Die im Katzenjammer geborenen guten Vorsätze
überdauern das
eine Jahr ohne Führerschein nur um eine begrenzte Spanne Zeit.
Fast die
Hälfte aller wegen Trunkenheit im
Straßenverkehr vorbestraften Autofahrer wird im Verlaufe der
folgenden zehn
Jahre auch ein zweites Mal als Trunkenheitsfahrer entdeckt und bestraft. Fast die
Hälfte in lediglich zehn Jahren;
und das ist nur die juristisch faßbare Rückfallquote.
Die wahre
Rückfallquote, jene also, die wieder
auffallen plus die, welche ganz einfach nie wieder erwischt werden,
dürfte
dagegen weit näher an den hundert Prozent liegen, als an den
fünfzig. So ist
die Situation und sie wird sicher nicht von selber besser. Jeder,
der oft und
viel und meistens auswärts trinkt, fährt (fast)
zwangsläufig immer wieder auch
in betrunkenem Zustand. Für den Kneipentrinker ist die Dynamik der
alltäglichen
Versuchung viel zu mächtig, das Risiko des Scheiterns allzu gering.
Eine starke Gemeinschaft
Im
Bewußtsein dieser - im Wortsinne -
verfahrenen Situation reagiert die Politik mit der in periodischen
Zeitabständen angezettelten Diskussion um die Absenkung der
0,8-Promille-Grenze
auf 0,5 Promille. Zur allgemeinen Verblüffung hat die Diskussion
diesmal
tatsächlich zu einer Gesetzesänderung geführt. Eine
Änderung allerdings, von
der viele Kritiker meinen, sie sei zwar ein Schritt in die richtige
Richtung,
dabei jedoch auf halbem Wege stehengeblieben. Eine Änderung,
von der ich behaupte,
daß sie sowohl in die falsche Richtung geht als auch unnötig
ist.
Angesichts der
unleugbaren Bedrohung jedes
Bürgers durch alkoholisierte Autofahrer liegt die Forderung nach
einer
Absenkung der Promillegrenze für jeden
verantwortungsbewußten Menschen so nahe,
daß auf der Gegenseite eigentlich nur die Trinker selber stehen
können, zäh und
verbissen um die Legalität jedes einzelnen Bierchens kämpfend.
Kein leichter
Gegenspieler, handelt es sich
doch hierbei um eine alles andere als unterdrückte und schwache
Minderheit. Der
Verein der Trinker hat in allen Parlamenten eine starke Lobby von
Mitgliedern
sitzen, die es bislang, verstärkt durch die Lobby der Brauer,
Schnapsbrenner
und Wirte noch jedesmal geschafft hat, dem heißen Fahrtwind der
Trockenheit am
Steuer zu trotzen.
Der politische
Einfluß der feuchten Mafia geht
soweit, daß verschärfte Alkoholkontrollen durch die Polizei
auf Druck der Wirte
zurückgepfiffen wurden, weil sie zu
erfolgreich waren. Die verschärften Alkoholkontrollen hatten
eben nicht nur
die Zahl der Unfälle und der Verkehrstoten im
schwerpunktmäßig überwachten
Bereich drastisch gesenkt, sondern in gleichem Maße auch den
Umsatz
alkoholischer Getränke in den Lokalen. Am Schnittpunkt von
Zapfhahn und
Registrierkasse hört für den trockensten Wirtschaftspolitiker
der Spaß auf.
Daß sich
die Trinker - in eigener
Sache - leidenschaftlich gegen eine Absenkung der
Promillegrenze wehren,
leuchtet ein. Fern aller Alkoholiker-Rhetorik - Freie
Fahrt für volle Bürger! - gibt es aber auch
unverdächtigere
Gründe, an eine Veränderung der Promillegrenzen keine
anderwärts durchaus
benötigten Energien zu verschwenden.
Jenseits aller Grenzen
Da ist
zunächst der gern übersehene Umstand,
daß der Kern des Problems ganz entschieden nicht im Bereich der
jetzt
diskutierten Grenzwerte liegt. Der durchschnittliche Promille-Wert der
entdeckten
Alkoholfahrten liegt nämlich bei
satten 1,7 ‰ (in Worten:
einskommasieben Promille), was nichts anderes heißt,
als daß der überwiegende Teil der Trunkenheitsfahrten
mit einer Alkoholisierung
stattfindet, die weit
über sämtlichen,
jetzt schon gültigen Grenzwerten liegt.
Sich
einzureden, ein Zwei-Promille-Fahrer
würde sich auch nur einen Bruchteil seiner Bierruhe von der
Überlegung rauben
lassen, daß er bei künftigen Trunkenheitsfahrten den
gesetzlichen Grenzwert um
dann 1,5 ‰ übersteigen würde, statt wie bisher "nur" um
1,2 ‰, wäre ausgesprochen blauäugig.
Dies umso mehr,
als es generell äußerst
schwierig ist, einen Zweipromiller durch irgendetwas
zu beeindrucken. Es sind im wesentlichen die hochpromilligen - sprich:
hart bestraften - Alkoholfahrer, die wieder auffällig werden,
während
Mehrfachbestrafungen bei niedriger Promillezahl - wo es mit
Fahrverbot
noch einmal glimpflich abgeben kann - eher selten sind. Die
Rückfallwahrscheinlichkeit steigt mit
der Höhe der Promille.
Haben wir schon, brauchen wir
nicht
So gesehen ging
und geht also die jetzt
vorläufig entschiedene 0,5-Promille-Diskussion am
eigentlichen Problem vorbei.
Wie der Betrunkene in dem oben zitierten, uralten Witz sucht man die
verlorene
Münze nicht dort, wo man sie vermutlich verloren hat, sondern
dort, wo die
Laterne am hellsten scheint. Die Münze findet man auf diese Weise
zwar nie, die
eifrige Suche nach ihr gestaltet sich aber vergleichsweise
angenehm.
Andererseits
hinkt der Vergleich mit dem
Betrunkenen natürlich insofern, als der Trunkenbold im Witz nur eine Münze verloren hat,
diese eine aber
ganz sicher nicht dort, wo er sucht. Damit die Analogie wieder stimmt,
müßten
wir den Betrunkenen einen ganzen Sack Münzen verlieren lassen, von
denen der Großteil
dort hinten im unzugänglichen
Dunkel liegen muß. Ein Teil - ein kleinerer Teil zwar, der
aber
immerhin - liegt hier im bequemen Schlaglicht der Laterne.
Mag also der
Schwerpunkt der Alkoholfahrten
ruhig in der Nähe von zwei Promille liegen, mögen die
gefährlichsten
Alkoholfahrer von einer Senkung der Promillegrenze überhaupt nicht
erfaßt
werden, so bleibt immer noch die Feststellung, daß die
niederpromilligen
Alkoholfahrer so
ungefährlich und so
selten nun auch nicht sind. Sie mit
einem resignierenden Achselzucken einfach fahren zu lassen, kann der
Weisheit
letzter Schluß doch auch nicht sein.
Richtig.
Aber: Dazu hätte es
keine
Absenkung der Promillegrenze gebraucht. Um die niederpromilligen Fahrer
- und
zwar alle, die eine Gefahr
für die
Verkehrssicherheit darstellen - mit dem Strafgesetz zu erfassen,
reichen
die seit mehreren Jahrzehnten bereits zur Verfügung stehenden
rechtlichen
Instrumente voll aus.
Die Ausnahme und die Regeln
Aus der
Tatsache, daß eine Fahrt über 0,5 ‰
verboten (Ordnungswidrigkeit), über 1,1 ‰ sogar streng
verboten (Straftat)
ist, dürfen wir nämlich keineswegs schließen, das
Fahren unter 0,5 ‰ sei
ganz einfach erlaubt. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes
(BGH) vom
April 1961, seit immerhin 45 Jahren also, sind Fahrten unter
Alkoholeinfluß
bereits dann strafbar, wenn mindestens 0,3 ‰ gemessen und alkoholbedingte
Ausfallserscheinungen
beobachtet werden. Entgegen allen umlaufenden Gerüchten
muß der Alkoholfahrer
keineswegs erst einen Unfall verursachen, um sich strafbar zu machen,
es
reichen fahrrelevante Beeinträchtigungen durch den genossenen
Alkohol.
Eine
Alkoholfahrt mit Ausfallserscheinungen
zwischen 0,3 und 0,5 Promille gilt dabei nicht etwa als eine Art Alkoholdelikt light, nach dem Motto:
weniger Alkohol, weniger Strafe. 0,3 Promille plus
Ausfallserscheinungen
summieren sich vielmehr zu einer ausgewachsenen Straftat, mit denselben
gravierenden rechtlichen Folgen wie 1,1 Promille unabhängig von
Ausfällen:
Geldstrafe von mehreren tausend Euro, Führerscheinentzug von etwa
einem Jahr,
im Wiederholungsfall auch Gefängnis.
Man könnte
also schon jetzt, und das seit
einer halben Ewigkeit, auch dem niederpromilligen Trunkenheitsfahrer
gehörig
ans Leder, wenn...
Ja, wenn!
Wenn es die
0,3-Promille-Grenze nicht so
trefflich verstünde, sich als Ausnahmeregelung hinter einem Wall
von Wenn und
Aber zu verstecken. "Ausnahmeregelung" heißt, daß in der
Rechtswirklichkeit Fahren
unter Alkoholeinfluß generell erst ab 0,5 ‰ verboten
ist, in wenigen,
wohlbegründeten Sonderfällen dagegen schon ab 0,3 ‰.
Wollen Polizei
und Staatsanwaltschaft vom
Normalfall 0,5 ‰ abweichen, so liegt die Beweislast bei ihnen. Sie müssen dem Kraftfahrer
nachweisen, daß
er zum Zeitpunkt seiner Fahrt trotz des relativ geringen BAK-Wertes
bereits
fahruntüchtig war. Bleibt auch nur ein Rest an Zweifel, ob der
Fahrer damals
wirklich so schlimm angeschlagen war, dann wird er freigesprochen,
Polizei und
Staatsanwaltschaft haben Zeit und Mühe in den Sand gesetzt.
Eine solche
Sicht der Dinge ist nicht vom
Himmel gefallen.
Je einfach und oft desto Regel
Die 1,1
Promille, ab welcher jeder seinen
Führerschein verliert, die 0,5 Promille, die mir immerhin noch
Fahrverbot
einbringen, sind präzise definierte Vorschriften. Sie greifen
automatisch,
wenn die entsprechende Blutalkoholkonzentration überschritten
wird. Um einen
Kraftfahrer bereits wegen 0,3 Promille verurteilen zu können,
muß dagegen zum
puren BAK-Wert etwas hinzukommen: eine eindeutig nachzuweisende - soll
heißen: dem Scharfsinn eines Rechtsanwalts standhaltende -
alkoholbedingte
Beeinträchtigung.
Zwei klassisch
einfache Gestalten und eine
barock komplizierte daneben: Der Schluß liegt nahe, daß es
sich hierbei um zwei
Normalfälle und eine Ausnahme von der Regel handelt.
Dies umso mehr,
als Alkoholfahrer, wenn sie
denn der Polizei in die Arme fahren, meist mit ziemlich viel Promille
erwischt
werden; der Durchschnittswert liegt, wir erinnern uns, bei
immerhin
1,7 ‰. Nun lehrt die Berufserfahrung den Verkehrspolizisten nicht
nur, daß
die meisten Kraftfahrer, die er mit Fahne aus dem Auto zerrt, weit
über 0,5 ‰
aufweisen, sondern auch, daß diejenigen, die er doch unter
0,5 ‰ erwischt,
fast nie bemerkenswerte Ausfallserscheinungen zeigen.
Trunkenheitsfahrten
unter 0,5 ‰, bei
denen der Fahrer sichtlich beeinträchtigt ist, sind demnach
sehr selten.
Fälle, die häufig vorkommen, müssen - so lehrt uns
die Alltagslogik -
die Regel sein, während seltene Ereignisse - natürlich! - die
Ausnahme sind.
Aus all dem
können wir weiterhin den
messerscharfen Schluß ziehen, daß robuste
Alkoholverträglichkeit bis 0,5 ‰ normal
ist, Ausfallserscheinungen bereits in diesem unteren Bereich
dagegen ausgesprochen
bemerkenswert sind.
Von Bieren und ihren Promillen
Und genau hier
ist der Haken an der
Geschichte: Eine derart ausgeprägte Alkoholverträglichkeit,
die einen noch bei
0,49 ‰ ganz normal aussehen läßt, ist nämlich
alles andere als
selbstverständlich. Sie ist nicht normal und naturgegeben,
sondern setzt
vielmehr ein länger dauerndes und intensives "Trinktraining"
voraus.
Zwar sind die
Beobachtungen des
Verkehrspolizisten, aus der er seine Gewichtung von Ausnahme und
Regel
ableitet, richtig, aber er macht diese Beobachtungen an einer
Ausnahmepopulation. Es sind nicht irgendwelche Leute, die von der
Polizei mit
Alkohol am Steuer angetroffen werden. Nicht Herr und Frau Jedermann
fahren mit - wieviel
auch immer - Alkohol, sondern die Damen und Herren Trinker.
Anders als es
in frommen Aufklärungsbroschüren
über Alkohol gemeinhin zu lesen steht, ist ein halber Liter Bier
keineswegs mit
0,3 ‰ zu veranschlagen, reichen 3 Bier bei weitem nicht hin,
die
0,8-Promille-Grenze zu überschreiten - nicht für ein
g'standenes
Mannsbild.
Um 0,8 ‰
zu erreichen, braucht ein
80 kg schwerer Mann 6 bis 10 Halblitergläser Bier oder
12 bis 20
Standardgläser Schnaps - und dabei darf er sich noch nicht
mal übermäßig
viel Zeit lassen. Der mäßige Alkoholkonsument, der zum
Essen sein Glas Bier
oder Wein zu trinken pflegt, der am Freitag beim Kartenspielen auch mal
drei
Glas riskiert, ist mit 0,8 ‰ bereits in einem ausgesprochen
bejammernswerten Zustand, irgendwo zwischen "schwer angeschlagen" und
"sinnlos betrunken". Zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges ist
er
jedenfalls schon deutlich vor dem Erreichen dieser Marke nicht mehr in
der Lage.
Ja, nicht
wenige Menschen machen bereits bei
einer Alkoholisierung von weniger als 0,3 ‰ Fahrfehler, die ihnen
nüchtern
nie unterlaufen würden. Mit 1,6 ‰ liegen die meisten
bewußtlos am Boden,
2,0 ‰ (ein Kasten Bier oder eine Flasche Schnaps für einen
80 kg
schweren, gesunden Mann im Verlaufe von vielleicht fünf Stunden)
wären für
solche Menschen eine lebensgefährliche Dosis. "Wären"
deshalb, weil
normal alkoholempfindliche Menschen eine solch starke Alkoholisierung
nur unter
Anwendung raffinierter Tricks erreichen können. Ihr
Körper würde sich bereits
auf dem Wege zu den zwei Promillen drastisch gegen eine weitere
Aufnahme
wehren, sprich: Sie würden kotzen wie die Reiher!
Und solche
Leute, Menschen, die auf das
hochwirksame Nervengift Alkohol noch normal, also sehr empfindlich
reagieren,
fahren gemeinhin nicht mit Alkohol im Blut. Das bißchen
Spaß an dem bißchen
Alkohol ist ihnen nicht so
wichtig,
daß sie dafür einen Führerscheinentzug oder gar einen
Unfall riskieren würden.
Die Logik steht Kopf
Wir hatten
gesagt, daß die herrschende
Rechtsprechung das Fahren unter 0,5 ‰ grundsätzlich erlaube,
sich aber
vorbehalte, in einigen, eng umgrenzten Ausnahmefällen das
grundsätzlich Erlaubte
doch zu verbieten.
Erst erlauben
und dann verbieten - eine
sehr merkwürdige Logik, die dem Strafrecht fremd ist. Der
Gesetzgeber geht
ansonsten nämlich den genau umgekehrten, den "konservativen" Weg:
Erst wird ein möglicherweise sozialschädliches Verhalten
prinzipiell unter Strafe
gestellt, um es dann - angepaßt an die
Lebenswirklichkeit - in
wohldefinierten Ausnahmefällen straffrei zu stellen.
Die Tötung
eines Menschen zum Beispiel ist
zunächst strafbar, lediglich in Fällen von Not- oder
Bundeswehr ist sie
ausnahmsweise doch erlaubt (bzw. unter Strafandrohung sogar zwingend
vorgeschrieben).
Abtreibung -
ein vielleicht noch besseres
Beispiel, da es auch hier um Grenzwerte geht - ist selbst in
Ländern mit
sehr permissiver Gesetzgebung prinzipiell verboten, bis zu einer Frist
von drei
Monaten aber erlaubt, bzw. geduldet.
Der Verdacht,
daß das Alkoholstrafrechts nicht
nur an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht, sondern auch in seiner
rechtsimmanenten Logik fehlerhaft ist, verdichtet sich beim
näheren Hinsehen.
Ab 1,1 ‰
gilt jeder Kraftfahrer,
unabhängig von seinem tatsächlichen Zustand, als absolut
fahruntüchtig; fährt
er doch, begeht er eine Straftat. Zwischen 0,5 und 1,1 ‰ gilt er
dagegen
(in den meisten Fällen) als nur relativ fahruntüchtig, ein
Verstoß in diesem
Rahmen wird lediglich als Ordnungswidrigkeit verfolgt und entsprechend
milder
bestraft. Mit diesen milderen Sanktionen kommt der Kraftfahrer aber nur dann davon, wenn er bei seiner
Fahrt keinerlei
fahrrelevante Ausfallserscheinungen
zeigt. Merkt man ihm zwischen 0,5 ‰ und 1,1 ‰ irgendwelche
Beeinträchtigungen
an, wird er zum Straftäter und muß mit sehr viel
härterer Bestrafung rechnen.
Das
heißt, in den Genuß der milderen Strafe
kommt einer nur dann, wenn
er trotz
der 1,09 ‰ topfit war, er seine Fahrt also in fahrtüchtigem
Zustand
gemacht hat. Er wird mild
bestraft,
wenn er nachweislich überhaupt
nichts angestellt
hat. Wozu also überhaupt
bestrafen, wenn die Voraussetzung der milderen Strafe das korrekte
Verhalten
ist?
Am Anfang stand der Fahrtest
Das deutsche
Alkoholstrafrecht ist anscheinend
alles andere als logisch durchdacht, weit davon entfernt, aus einem
Guß zu
sein. Das wiederum hat offensichtlich mit der historischen Entwicklung
dieses
noch relativ jungen Rechtsgebietes zu tun.
Die
Promillegrenze der Strafandrohung hat sich
im Laufe der Zeit von oben herab in mehreren Schritten auf den jetzigen
Wert
abgesenkt. In den Anfangszeiten der Bundesrepublik war Alkohol am
Steuer zwar
auch schon verboten, Promillegrenzwerte aber noch nicht
verbindlich
festgelegt. Man entschied im Einzelfall, was soweit ging, daß ein
beschuldigter
Kraftfahrer sich dadurch aus der Schlinge ziehen konnte, daß
er, amtlich unter
Alkohol gesetzt, eine Fahrprobe trotz - sagen wir mal: -
1,6 ‰
mit Bravour bestand. 1953 machte der Bundesgerichtshof dem ein
Ende, indem er
entschied, daß jeder Kraftfahrer vor dem Gesetz ab 1,5 Promille
fahruntüchtig
sei.
1966 war es
wieder der BGH, der jetzt die
Grenze der absoluten Fahrtüchtigkeit auf 1,3 ‰
festsetzte, ein Wert, der
erst 1990 auf die jetzt gültigen 1,1 ‰ herabgesetzt
wurde, flankiert von
der im Straßenverkehrsgesetz formulierten
0,8-Promille-Grenze der relativen
Fahruntüchtigkeit.
Das
Bewußtsein für die Gefährlichkeit auch -
vergleichsweise -
niedriger Alkoholisierung im Straßenverkehr hat sich demnach erst
allmählich
entwickelt, parallel zur Entwicklung des Straßenverkehrs,
der in den vierziger
und fünfziger Jahren ein Ausmaß hatte, in dem so manche
Schlangenlinie
toleriert werden konnte.
Und jetzt, da
der Straßenverkehr an sich
bereits einen Umfang erreicht hat, daß es einem die
Jammertränen in die Augen
treibt, da Alkohol im Straßenverkehr sich zum schier unbesiegbar
gewordenen,
menschenfressenden Drachen ausgewachsen hat, haben wir ein aus
Verlegenheitslösungen
zusammengestopseltes Alkoholstrafrecht, das...
Die Regel und ihre Ausnahmen
...so schlecht
eigentlich gar nicht ist.
Versuchen wir
mal, das auf dem Kopf stehende
Alkoholstrafrecht vorsichtig auf die Füße zu stellen. Wenden
wir die allgemeine
Logik des Strafrechts: "Es ist
verboten, außer..." auf die Promillegrenzen an.
Unabhängig
von der numerischen Häufigkeit in
der Praxis, unabhängig auch von der Komplexität oder
Einfachheit in der
Handhabung ist dann die strengste Vorschrift der Normalfall, sind die
milderen
Bestimmungen Ausnahmen von der allgemeinen Regel. Wie in einem
Vexierbild
kippt unter solchen Voraussetzungen die vertraute Alkoholgesetzgebung
um,
nichts mehr ist jetzt noch so, wie es einmal war.
Fahren unter
Alkoholeinfluß ist nun bereits ab
0,3 ‰ grundsätzlich verboten und mit empfindlichen
Strafen bedroht, kann jedoch
in wohlbegründeten
Ausnahmefällen bis 0,5 ‰ straffrei sein; dann nämlich,
wenn ein bestimmter
Fahrer so stark alkoholgewöhnt ist, daß der genossene
Alkohol seine
Fahrtüchtigkeit nachweislich noch nicht beeinträchtigt.
Ohne daß
eine einzige Promillegrenze geändert
werden müßte, wird es durch diese veränderte, der
Sachlage und Rechtslogik sehr
viel angepaßtere Sicht der Dinge für den Alkoholfahrer auf
einmal brenzlig. Wer
guten Gewissens die 0,3-Promille-Grenze ignorieren und statt
dessen bis 0,49 ‰
straffrei durch die Nacht rauschen will, nimmt nach dieser neuen Lesart
für
sich einen Sonderstatus in Anspruch, indem er auf seine deutlich
über das
übliche Maß hinausgehende Trinkfestigkeit pocht. Daraus
folgt zwanglos, daß
jetzt nicht mehr der Staatsanwalt im Zugzwang ist, sondern der
Verkehrsteilnehmer. Er
muß jetzt nachweisen, daß er trotz
seiner, doch bereits erheblichen Alkoholisierung von 0,49 ‰ das
Fahrzeug
noch voll im Griff hatte, er
muß
jetzt zittern, ob er die Tests bei der Blutentnahme - vom geraden
Gehen
auf einer Linie bis zur Finger-Nasen-Probe - auch wirklich
tadellos
bestehen wird. Kann er das nicht, zeigt er eine auch nur leichte
Unsicherheit,
dann ist er dran.
Es hätte
also lediglich eines höchstrichterlichen
Spruches bedurft, der die in der seit über dreißig Jahren
geltenden Rechtslage
schon beschlossen liegende Logik zu Tage fördert und
rechtsverbindlich
festklopft, um die Diskussion über die 0,5- oder jede andere
Promille-Grenze im
Sinne der Verkehrssicherheit zu beenden. Kein Gesetz hätte
geändert zu werden
brauchen.
In einem Land,
in dem die 0,3-Promille-Grenze
als Regelgrenze eigentlich schon besteht (auch wenn sich dies noch
nicht bis
zur Justiz durchgesprochen hat) ist die Einführung der
0,5-Promille-Grenze
definitiv ein Rückschritt. Weit mehr im Interesse der
allgemeinen
Verkehrssicherheit wäre eine drastische Verschärfung der
Wiedererteilungs-Richtlinien für hochpromillige Fahrer - wenn
denn
verschärfte polizeiliche Alkoholkontrollen wirklich nicht
finanzierbar sind.
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