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Im Lichtkreis einer Straßenlaterne sucht ein sichtlich betrunkener Mann mit großem Eifer den Boden ab. Ein des Weges kommender Passant frägt, was er verloren habe, bietet Hilfe an. - "Ein Fünfmarkstück", klagt der Betrunkene, "muß mir beim Pinkeln da hinten", er deutet auf ein entferntes, dunkles Stück des Weges, "aus der Tasche gefallen sein." - "Aber warum", frägt der Passant irritiert, "suchen Sie dann hier und nicht dort hinten?" - "Na, Sie sind gut. Dort hinten ist es zum Suchen doch viel zu dun­kel."

 Suchen, wo das Licht am hellsten

Zur Absenkung der Promillegrenze von 0,3 auf 0,5 ‰

Dichter, denen absolut nichts mehr einfällt, die aber trotzdem ihren Ver­lagsvorschuß abarbeiten müssen, schreiben gern Autobiographisches. Ge­setzgeber in der gleichen Zwickmühle von Ratlosigkeit und Zugzwang, nei­gen dazu, Strafgesetze zu verschärfen. Ohne Kosten zu verursachen, ver­mitteln verschärfte Strafgesetze das angenehm prickelnde Gefühl recht­schaffener Entschlossenheit.

Einer jener Problembereiche, welche immer wieder gerne zu Strafverschär­fungsphantasien anregen, ist Alkohol im Straßenverkehr. Wie die Zahl der zugelassenen Autos steigt auch der Verbrauch an Alkoholika. Mit über 12 Liter reinem Alkohol pro Kopf und Jahr führt das wiedervereinigte Deutschland inzwischen die feuchte Weltrangliste an. Alkohol und Straßen­verkehr ergeben zusammen eine hochgefährliche Mischung, sind doch alkoho­lisierte Autofahrer verantwortlich für einen Gutteil der Verkehrsunfälle, einen Großteil der Verkehrstoten.

Und dabei wird - unter den Händen eifrig dran herumtherapierender Exper­ten - das Problem größer und brisanter. Unbeeindruckt von empfindlichen Strafen und der - angeblich so gefürchteten - Medizinisch-Psychologischen Untersuchung jagen Deutschlands Schluckspechte über die meist nächtlichen Straßen. Über 250.000 Führerscheinentzüge und Fahrverbote pro Jahr lassen sich bei einer vorsichtig geschätzten Dunkelziffer von 1:1000 auf 250 Millionen Trunkenheitsfahrten pro Jahr hochrechnen, womit auf jeden Einwohner der Bundesrepublik Deutschland mehr als drei Alkoholfahrten pro Jahr kommen.

Rein rechnerisch, nicht wirklich, denn der Löwenanteil der Promillefahr­ten geht auf das Konto eines eng umgrenzten Personenkreises.

Oft und oft...

Es sind immer die gleichen, die betrunken fahren. Der Grund hierfür ist entsetzlich einfach: Es zahlt sich aus!

Wer überhaupt betrunken fährt, fährt nämlich nicht nur oft betrun­ken, er fährt in der Regel auch stark betrunken, trinkt also viel und verträgt auch viel. Wer viel verträgt, trinkt offensichtlich oft und dann jeweils viel, weil ihm anders die Kondition dafür fehlte. "Ohne Fleiß kein Preis!" - das weiß nicht nur der Sportlehrer, wenn er vom Langlauf spricht, sondern auch der Stammtischbruder, der einen nach drei Bierchen bereits bleichen Buben mild belächelt.

Anders als der mäßige Trinker, der sich ab und an ein Räuscherl gönnt, steht der routinierte Schluckspecht nicht zweimal im Jahr vor der Frage, ob er noch fahren soll, sondern viermal die Woche (oder öfter). Das Taxi kommt unter diesen Umständen viel zu teuer, der Fußmarsch wäre schon nüchtern zu lang und eine Mitfahrgelegenheit ist sowieso graue Theorie. Finden Sie mal nachts um eins beim Schwanenwirt von Unterdingharting ei­nen - nüchternen (!) - Autofahrer, der Sie nach Mitterdingharting mit­nimmt!

Demgegenüber ist die Gefahr, erwischt zu werden, kalkulierbar gering. Na­türlich gibt es Alkoholkontrollen, natürlich ist das Unfallrisiko unter Alkoholeinfluß drastisch erhöht. Trotzdem führt die feuchte Fahrt fast immer ohne Zwischenfälle ans Ziel. Eine - wie gesagt: vorsichtig ge­schätzte, in Wirklichkeit sehr wahrscheinlich noch höhere - Dunkelziffer von 1:1000 bedeutet für den einzelnen Promillefahrer, daß die Wahrschein­lichkeit, bei seiner jeweils nächsten Trunkenheitsfahrt ungeschoren da­vonzukommen, 99,9 % beträgt.

Das Verhältnis von Kostenersparnis durch die Trunkenheitsfahrt einerseits und Bestrafungsrisiko andererseits ist für den Promillefahrer also alles in allem nicht ungünstig und durchaus verlockend.

...und immer wieder

So verlockend, daß selbst der bereits eingetretene Schadensfall - Führerscheinentzug und Geldstrafe, manchmal auch ein Unfall - an dieser Bereitschaft zur Regelverletzung auf Dauer nichts zu ändern vermag. Wer nach einer Vorstrafe wegen Alkohol im Straßenverkehr seinen Führerschein wiederbekommt, wird im Normalfall irgendwann wieder - und dann auch wie­der regelmäßig - mit Alkohol fahren. Die im Katzenjammer geborenen guten Vorsätze überdauern das eine Jahr ohne Führerschein nur um eine begrenzte Spanne Zeit.

Fast die Hälfte aller wegen Trunkenheit im Straßenverkehr vorbestraften Autofahrer wird im Verlaufe der folgenden zehn Jahre auch ein zweites Mal als Trunkenheitsfahrer entdeckt und bestraft. Fast die Hälfte in le­diglich zehn Jahren; und das ist nur die juristisch faßbare Rückfall­quote. Die wahre Rückfallquote, jene also, die wieder auffallen plus die, welche ganz einfach nie wieder erwischt werden, dürfte dagegen weit näher an den hundert Prozent liegen, als an den fünfzig. So ist die Si­tuation und sie wird sicher nicht von selber besser. Jeder, der oft und viel und meistens auswärts trinkt, fährt (fast) zwangsläufig immer wieder auch in betrunkenem Zustand. Für den Kneipentrinker ist die Dynamik der alltäglichen Versuchung viel zu mächtig, das Risiko des Scheiterns allzu gering.

Eine starke Gemeinschaft

Im Bewußtsein dieser - im Wortsinne - verfahrenen Situation reagiert die Politik mit der in periodischen Zeitabständen angezettelten Diskussion um die Absenkung der 0,8-Promille-Grenze auf 0,5 Promille. Zur allgemeinen Verblüffung hat die Diskussion diesmal tatsächlich zu einer Gesetzesände­rung geführt. Eine Änderung allerdings, von der viele Kritiker meinen, sie sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, dabei jedoch auf hal­bem Wege stehengeblieben. Eine Änderung, von der ich behaupte, daß sie sowohl in die falsche Richtung geht als auch unnötig ist.

Angesichts der unleugbaren Bedrohung jedes Bürgers durch alkoholisierte Autofahrer liegt die Forderung nach einer Absenkung der Promillegrenze für jeden verantwortungsbewußten Menschen so nahe, daß auf der Gegenseite eigentlich nur die Trinker selber stehen können, zäh und verbissen um die Legalität jedes einzelnen Bierchens kämpfend.

Kein leichter Gegenspieler, handelt es sich doch hierbei um eine alles andere als unterdrückte und schwache Minderheit. Der Verein der Trinker hat in allen Parlamenten eine starke Lobby von Mitgliedern sitzen, die es bislang, verstärkt durch die Lobby der Brauer, Schnapsbrenner und Wirte noch jedesmal geschafft hat, dem heißen Fahrtwind der Trockenheit am Steuer zu trotzen.

Der politische Einfluß der feuchten Mafia geht soweit, daß verschärfte Alkoholkontrollen durch die Polizei auf Druck der Wirte zurückgepfiffen wurden, weil sie zu erfolgreich waren. Die verschärften Alkoholkontrol­len hatten eben nicht nur die Zahl der Unfälle und der Verkehrstoten im schwerpunktmäßig überwachten Bereich drastisch gesenkt, sondern in glei­chem Maße auch den Umsatz alkoholischer Getränke in den Lokalen. Am Schnittpunkt von Zapfhahn und Registrierkasse hört für den trockensten Wirtschaftspolitiker der Spaß auf.

Daß sich die Trinker - in eigener Sache - leidenschaftlich gegen eine Ab­senkung der Promillegrenze wehren, leuchtet ein. Fern aller Alkoholiker-Rhetorik - Freie Fahrt für volle Bürger! - gibt es aber auch unverdächti­gere Gründe, an eine Veränderung der Promillegrenzen keine anderwärts durchaus benötigten Energien zu verschwenden.

Jenseits aller Grenzen

Da ist zunächst der gern übersehene Umstand, daß der Kern des Problems ganz entschieden nicht im Bereich der jetzt diskutierten Grenzwerte liegt. Der durchschnittliche Promille-Wert der entdeckten Alkoholfahrten liegt nämlich  bei satten 1,7 ‰ (in Worten: einskommasieben Promille), was nichts anderes heißt, als daß der überwiegende Teil der Trunkenheits­fahrten mit einer Alkoholisierung stattfindet, die weit über sämtli­chen, jetzt schon gültigen Grenzwerten liegt.

Sich einzureden, ein Zwei-Promille-Fahrer würde sich auch nur einen Bruchteil seiner Bierruhe von der Überlegung rauben lassen, daß er bei künftigen Trunkenheitsfahrten den gesetzlichen Grenzwert um dann 1,5 ‰ übersteigen würde, statt wie bisher "nur" um 1,2 ‰, wäre ausgesprochen blauäugig.

Dies umso mehr, als es generell äußerst schwierig ist, einen Zweipromil­ler durch irgendetwas zu beeindrucken. Es sind im wesentlichen die hochpromilligen - sprich: hart bestraften - Alkoholfahrer, die wieder auffällig werden, während Mehrfachbestrafungen bei niedriger Promillezahl - wo es mit Fahrverbot noch einmal glimpflich abgeben kann - eher selten sind. Die Rückfallwahrscheinlichkeit steigt mit der Höhe der Promille.

Haben wir schon, brauchen wir nicht

So gesehen ging und geht also die jetzt vorläufig entschiedene 0,5-Pro­mille-Diskussion am eigentlichen Problem vorbei. Wie der Betrunkene in dem oben zitierten, uralten Witz sucht man die verlorene Münze nicht dort, wo man sie vermutlich verloren hat, sondern dort, wo die Laterne am hellsten scheint. Die Münze findet man auf diese Weise zwar nie, die eif­rige Suche nach ihr gestaltet sich aber vergleichsweise angenehm.

Andererseits hinkt der Vergleich mit dem Betrunkenen natürlich insofern, als der Trunkenbold im Witz nur eine Münze verloren hat, diese eine aber ganz sicher nicht dort, wo er sucht. Damit die Analogie wieder stimmt, müßten wir den Betrunkenen einen ganzen Sack Münzen verlieren lassen, von denen der Großteil dort hinten im unzugänglichen Dunkel liegen muß. Ein Teil - ein kleinerer Teil zwar, der aber immerhin - liegt hier im bequemen Schlaglicht der Laterne.

Mag also der Schwerpunkt der Alkoholfahrten ruhig in der Nähe von zwei Promille liegen, mögen die gefährlichsten Alkoholfahrer von einer Senkung der Promillegrenze überhaupt nicht erfaßt werden, so bleibt immer noch die Feststellung, daß die niederpromilligen Alkoholfahrer so ungefähr­lich und so selten nun auch nicht sind. Sie mit einem resignierenden Achselzucken einfach fahren zu lassen, kann der Weisheit letzter Schluß doch auch nicht sein.

Richtig.

Aber:  Dazu hätte es keine Absenkung der Promillegrenze gebraucht. Um die niederpromilligen Fahrer - und zwar alle, die eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen - mit dem Strafgesetz zu erfassen, reichen die seit mehreren Jahrzehnten bereits zur Verfügung stehen­den rechtlichen Instrumente voll aus.

Die Ausnahme und die Regeln

Aus der Tatsache, daß eine Fahrt über 0,5 ‰ verboten (Ordnungswidrigkeit), über 1,1 ‰ sogar streng verboten (Straftat) ist, dürfen wir nämlich keineswegs schließen, das Fahren unter 0,5 ‰ sei ganz einfach erlaubt. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom April 1961, seit immerhin 45 Jahren also, sind Fahrten unter Alkoho­leinfluß bereits dann strafbar, wenn mindestens 0,3 ‰ gemessen und al­koholbedingte Ausfallserscheinungen beobachtet werden. Entgegen allen um­laufenden Gerüchten muß der Alkoholfahrer keineswegs erst einen Unfall verursachen, um sich strafbar zu machen, es reichen fahrrelevante Beein­trächtigungen durch den genossenen Alkohol.

Eine Alkoholfahrt mit Ausfallserscheinungen zwischen 0,3 und 0,5 Promille gilt dabei nicht etwa als eine Art Alkoholdelikt light, nach dem Motto: weniger Alkohol, weniger Strafe. 0,3 Promille plus Ausfallserscheinungen summieren sich vielmehr zu einer ausgewachsenen Straftat, mit denselben gravierenden rechtlichen Folgen wie 1,1 Promille unabhängig von Ausfäl­len: Geldstrafe von mehreren tausend Euro, Führerscheinentzug von etwa einem Jahr, im Wiederholungsfall auch Gefängnis.

Man könnte also schon jetzt, und das seit einer halben Ewigkeit, auch dem niederpromilligen Trunkenheitsfahrer gehörig ans Leder, wenn...

Ja, wenn!

Wenn es die 0,3-Promille-Grenze nicht so trefflich verstünde, sich als Ausnahmeregelung hinter einem Wall von Wenn und Aber zu verstecken. "Ausnahmeregelung" heißt, daß in der Rechtswirklichkeit Fahren unter Al­koholeinfluß generell erst ab 0,5 ‰ verboten ist, in wenigen, wohlbegrün­deten Sonderfällen dagegen schon ab 0,3 ‰.

Wollen Polizei und Staatsanwaltschaft vom Normalfall 0,5 ‰ abweichen, so liegt die Beweislast bei ihnen. Sie müssen dem Kraftfahrer nachweisen, daß er zum Zeitpunkt seiner Fahrt trotz des relativ geringen BAK-Wertes bereits fahruntüchtig war. Bleibt auch nur ein Rest an Zweifel, ob der Fahrer damals wirklich so schlimm angeschlagen war, dann wird er freige­sprochen, Polizei und Staatsanwaltschaft haben Zeit und Mühe in den Sand gesetzt.

Eine solche Sicht der Dinge ist nicht vom Himmel gefallen.

Je einfach und oft desto Regel

Die 1,1 Promille, ab welcher jeder seinen Führerschein verliert, die 0,5 Promille, die mir immerhin noch Fahrverbot einbringen, sind präzise defi­nierte Vorschriften. Sie greifen automatisch, wenn die entsprechende Blutalkoholkonzentration überschritten wird. Um einen Kraftfahrer bereits wegen 0,3 Promille verurteilen zu können, muß dagegen zum puren BAK-Wert etwas hinzukommen: eine eindeutig nachzuweisende - soll heißen: dem Scharfsinn eines Rechtsanwalts standhaltende - alkoholbedingte Beein­trächtigung.

Zwei klassisch einfache Gestalten und eine barock komplizierte daneben: Der Schluß liegt nahe, daß es sich hierbei um zwei Normalfälle und eine Ausnahme von der Regel handelt.

Dies umso mehr, als Alkoholfahrer, wenn sie denn der Polizei in die Arme fahren, meist mit ziemlich viel Promille erwischt werden; der Durch­schnittswert liegt, wir erinnern uns, bei immerhin 1,7 ‰. Nun lehrt die Berufserfahrung den Verkehrspolizisten nicht nur, daß die meisten Kraft­fahrer, die er mit Fahne aus dem Auto zerrt, weit über 0,5 ‰ aufweisen, sondern auch, daß diejenigen, die er doch unter 0,5 ‰ erwischt, fast nie bemerkenswerte Ausfallserscheinungen zeigen.

Trunkenheitsfahrten unter 0,5 ‰, bei denen der Fahrer sichtlich beein­trächtigt ist, sind demnach sehr selten. Fälle, die häufig vorkommen, müssen - so lehrt uns die Alltagslogik - die Regel sein, während seltene Ereignisse - natürlich! - die Ausnahme sind.

Aus all dem können wir weiterhin den messerscharfen Schluß ziehen, daß robuste Alkoholverträglichkeit bis 0,5 ‰ normal ist, Ausfallserscheinun­gen bereits in diesem unteren Bereich dagegen ausgesprochen bemerkenswert sind.

Von Bieren und ihren Promillen

Und genau hier ist der Haken an der Geschichte: Eine derart ausgeprägte Alkoholverträglichkeit, die einen noch bei 0,49 ‰ ganz normal aussehen läßt, ist nämlich alles andere als selbstverständlich. Sie ist nicht nor­mal und naturgegeben, sondern setzt vielmehr ein länger dauerndes und in­tensives "Trinktraining" voraus.

Zwar sind die Beobachtungen des Verkehrspolizisten, aus der er seine Ge­wichtung von Ausnahme und Regel ableitet, richtig, aber er macht diese Beobachtungen an einer Ausnahmepopulation. Es sind nicht irgendwelche Leute, die von der Polizei mit Alkohol am Steuer angetroffen werden. Nicht Herr und Frau Jedermann fahren mit - wieviel auch immer - Alkohol, sondern die Damen und Herren Trinker.

Anders als es in frommen Aufklärungsbroschüren über Alkohol gemeinhin zu lesen steht, ist ein halber Liter Bier keineswegs mit 0,3 ‰ zu veran­schlagen, reichen 3 Bier bei weitem nicht hin, die 0,8-Promille-Grenze zu überschreiten - nicht für ein g'standenes Mannsbild.

Um 0,8 ‰ zu erreichen, braucht ein 80 kg schwerer Mann 6 bis 10 Halbli­tergläser Bier oder 12 bis 20 Standardgläser Schnaps - und dabei darf er sich noch nicht mal übermäßig viel Zeit lassen. Der mäßige Alkoholkonsu­ment, der zum Essen sein Glas Bier oder Wein zu trinken pflegt, der am Freitag beim Kartenspielen auch mal drei Glas riskiert, ist mit 0,8 ‰ be­reits in einem ausgesprochen bejammernswerten Zustand, irgendwo zwischen "schwer angeschlagen" und "sinnlos betrunken". Zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges ist er jedenfalls schon deutlich vor dem Erreichen dieser Marke nicht mehr in der Lage.

Ja, nicht wenige Menschen machen bereits bei einer Alkoholisierung von weniger als 0,3 ‰ Fahrfehler, die ihnen nüchtern nie unterlaufen würden. Mit 1,6 ‰ liegen die meisten bewußtlos am Boden, 2,0 ‰ (ein Kasten Bier oder eine Flasche Schnaps für einen 80 kg schweren, gesunden Mann im Verlaufe von vielleicht fünf Stunden) wären für solche Menschen eine lebensgefährliche Dosis. "Wären" deshalb, weil normal alkoholempfindliche Menschen eine solch starke Alkoholisierung nur unter Anwendung raffinierter Tricks er­reichen können. Ihr Körper würde sich bereits auf dem Wege zu den zwei Promillen drastisch gegen eine weitere Aufnahme wehren, sprich: Sie wür­den kotzen wie die Reiher!

Und solche Leute, Menschen, die auf das hochwirksame Nervengift Alkohol noch normal, also sehr empfindlich reagieren, fahren gemeinhin nicht mit Alkohol im Blut. Das bißchen Spaß an dem bißchen Alkohol ist ihnen nicht so wichtig, daß sie dafür einen Führerscheinentzug oder gar einen Unfall riskieren würden.

Die Logik steht Kopf

Wir hatten gesagt, daß die herrschende Rechtsprechung das Fahren unter 0,5 ‰ grundsätzlich erlaube, sich aber vorbehalte, in einigen, eng um­grenzten Ausnahmefällen das grundsätzlich Erlaubte doch zu verbieten.

Erst erlauben und dann verbieten - eine sehr merkwürdige Logik, die dem Strafrecht fremd ist. Der Gesetzgeber geht ansonsten nämlich den genau umgekehrten, den "konservativen" Weg: Erst wird ein möglicherweise sozi­alschädliches Verhalten prinzipiell unter Strafe gestellt, um es dann - angepaßt an die Lebenswirklichkeit - in wohldefinierten Ausnahmefällen straffrei zu stellen.

Die Tötung eines Menschen zum Beispiel ist zunächst strafbar, lediglich in Fällen von Not- oder Bundeswehr ist sie ausnahmsweise doch erlaubt (bzw. unter Strafandrohung sogar zwingend vorgeschrieben).

Abtreibung - ein vielleicht noch besseres Beispiel, da es auch hier um Grenzwerte geht - ist selbst in Ländern mit sehr permissiver Gesetzgebung prinzipiell verboten, bis zu einer Frist von drei Monaten aber erlaubt, bzw. geduldet.

Der Verdacht, daß das Alkoholstrafrechts nicht nur an der Lebenswirklich­keit vorbeigeht, sondern auch in seiner rechtsimmanenten Logik fehlerhaft ist, verdichtet sich beim näheren Hinsehen.

Ab 1,1 ‰ gilt jeder Kraftfahrer, unabhängig von seinem tatsächlichen Zu­stand, als absolut fahruntüchtig; fährt er doch, begeht er eine Straftat. Zwischen 0,5 und 1,1 ‰ gilt er dagegen (in den meisten Fällen) als nur relativ fahruntüchtig, ein Verstoß in diesem Rahmen wird lediglich als Ordnungswidrigkeit verfolgt und entsprechend milder bestraft. Mit diesen milderen Sanktionen kommt der Kraftfahrer aber nur dann davon, wenn er bei seiner Fahrt keinerlei fahrrelevante Ausfallserscheinungen zeigt. Merkt man ihm zwischen 0,5 ‰ und 1,1 ‰ irgendwelche Beeinträchti­gungen an, wird er zum Straftäter und muß mit sehr viel härterer Bestra­fung rechnen.

Das heißt, in den Genuß der milderen Strafe kommt einer nur dann, wenn er trotz der 1,09 ‰ topfit war, er seine Fahrt also in fahrtüchtigem Zu­stand gemacht hat. Er wird mild bestraft, wenn er nachweislich über­haupt nichts angestellt hat. Wozu also überhaupt bestrafen, wenn die Voraussetzung der milderen Strafe das korrekte Verhalten ist?

Am Anfang stand der Fahrtest

Das deutsche Alkoholstrafrecht ist anscheinend alles andere als logisch durchdacht, weit davon entfernt, aus einem Guß zu sein. Das wiederum hat offensichtlich mit der historischen Entwicklung dieses noch relativ jun­gen Rechtsgebietes zu tun.

Die Promillegrenze der Strafandrohung hat sich im Laufe der Zeit von oben herab in mehreren Schritten auf den jetzigen Wert abgesenkt. In den An­fangszeiten der Bundesrepublik war Alkohol am Steuer zwar auch schon ver­boten, Promillegrenzwerte aber noch nicht verbindlich festgelegt. Man entschied im Einzelfall, was soweit ging, daß ein beschuldigter Kraftfah­rer sich dadurch aus der Schlinge ziehen konnte, daß er, amtlich unter Alkohol gesetzt, eine Fahrprobe trotz - sagen wir mal: - 1,6 ‰ mit Bra­vour bestand. 1953 machte der Bundesgerichtshof dem ein Ende, indem er entschied, daß jeder Kraftfahrer vor dem Gesetz ab 1,5 Promille fahrun­tüchtig sei.

1966 war es wieder der BGH, der jetzt die Grenze der absoluten Fahrtüch­tigkeit auf 1,3 ‰ festsetzte, ein Wert, der erst 1990 auf die jetzt gül­tigen 1,1 ‰ herabgesetzt wurde, flankiert von der im Straßenverkehrsge­setz formulierten 0,8-Promille-Grenze der relativen Fahruntüchtigkeit.

Das Bewußtsein für die Gefährlichkeit auch - vergleichsweise - niedriger Alkoholisierung im Straßenverkehr hat sich demnach erst allmählich ent­wickelt, parallel zur Entwicklung des Straßenverkehrs, der in den vierzi­ger und fünfziger Jahren ein Ausmaß hatte, in dem so manche Schlangenli­nie toleriert werden konnte.

Und jetzt, da der Straßenverkehr an sich bereits einen Umfang erreicht hat, daß es einem die Jammertränen in die Augen treibt, da Alkohol im Straßenverkehr sich zum schier unbesiegbar gewordenen, menschenfressenden Drachen ausgewachsen hat, haben wir ein aus Verlegenheitslösungen zusam­mengestopseltes Alkoholstrafrecht, das...

Die Regel und ihre Ausnahmen

...so schlecht eigentlich gar nicht ist.

Versuchen wir mal, das auf dem Kopf stehende Alkoholstrafrecht vorsichtig auf die Füße zu stellen. Wenden wir die allgemeine Logik des Strafrechts: "Es ist verboten, außer..." auf die Promillegrenzen an.

Unabhängig von der numerischen Häufigkeit in der Praxis, unabhängig auch von der Komplexität oder Einfachheit in der Handhabung ist dann die strengste Vorschrift der Normalfall, sind die milderen Bestimmungen Aus­nahmen von der allgemeinen Regel. Wie in einem Vexierbild kippt unter solchen Voraussetzungen die vertraute Alkoholgesetzgebung um, nichts mehr ist jetzt noch so, wie es einmal war.

Fahren unter Alkoholeinfluß ist nun bereits ab 0,3 ‰ grundsätzlich verbo­ten und mit empfindlichen Strafen bedroht, kann jedoch in wohlbegründe­ten Ausnahmefällen bis 0,5 ‰ straffrei sein; dann nämlich, wenn ein be­stimmter Fahrer so stark alkoholgewöhnt ist, daß der genossene Alkohol seine Fahrtüchtigkeit nachweislich noch nicht beeinträchtigt.

Ohne daß eine einzige Promillegrenze geändert werden müßte, wird es durch diese veränderte, der Sachlage und Rechtslogik sehr viel angepaßtere Sicht der Dinge für den Alkoholfahrer auf einmal brenzlig. Wer guten Ge­wissens die 0,3-Promille-Grenze ignorieren und statt dessen bis 0,49 ‰ straffrei durch die Nacht rauschen will, nimmt nach dieser neuen Lesart für sich einen Sonderstatus in Anspruch, indem er auf seine deutlich über das übliche Maß hinausgehende Trinkfestigkeit pocht. Daraus folgt zwang­los, daß jetzt nicht mehr der Staatsanwalt im Zugzwang ist, sondern der Verkehrsteilnehmer. Er muß jetzt nachweisen, daß er trotz seiner, doch bereits erheblichen Alkoholisierung von 0,49 ‰ das Fahrzeug noch voll im Griff hatte, er muß jetzt zittern, ob er die Tests bei der Blutentnahme - vom geraden Gehen auf einer Linie bis zur Finger-Nasen-Probe - auch wirklich tadellos bestehen wird. Kann er das nicht, zeigt er eine auch nur leichte Unsicherheit, dann ist er dran.

Es hätte also lediglich eines höchstrichterlichen Spruches bedurft, der die in der seit über dreißig Jahren geltenden Rechtslage schon beschlos­sen liegende Logik zu Tage fördert und rechtsverbindlich festklopft, um die Diskussion über die 0,5- oder jede andere Promille-Grenze im Sinne der Verkehrssicherheit zu beenden. Kein Gesetz hätte geändert zu werden brauchen.

In einem Land, in dem die 0,3-Promille-Grenze als Regelgrenze eigentlich schon besteht (auch wenn sich dies noch nicht bis zur Justiz durchgespro­chen hat) ist die Einführung der 0,5-Promille-Grenze definitiv ein Rück­schritt. Weit mehr im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit wäre eine drastische Verschärfung der Wiedererteilungs-Richtlinien für hoch­promillige Fahrer - wenn denn verschärfte polizeiliche Alkoholkontrollen wirklich nicht finanzierbar sind.