Die Geburt der Pizza aus dem Geist der Semmel
Vor
hundert Jahren und mehr lebte in einer Stadt am Golf von Sorrent
ein großes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut.
Liebeswirren
hatten das Schwein etliche Jahre zuvor aus Zwiesel im Bayerischen Wald
hierher verschlagen. Nach all den Jahren in Neapel sprach es inzwischen
perfekt und nahezu akzentfrei neapolitanisch.
Eberhard
Pirzer, so hieß das Schwein, hatte als Bäcker sein
Auskommen gefunden. Sein Laden
war im ganzen Viertel bekannt und
beliebt, pflegte doch Eberhard seine echt Zwieseler
Bayerwald-Semmeln für jeden Kunden auf Bestellung frisch zu
backen. Zur ofenwarmen Semmel konnte der Kunde dann, je nach Geschmack,
einige der Leckereien nehmen, die auf Eberhards Ladentheke
appetitlich in Schüsseln angerichtet waren:
Mozzarellakügelchen, Tomatensoße und frisches
Basilikum. Dazu gab es den einfachen, aber köstlichen Wein
von den Hängen des Vesuv zu trinken.
So war
Eberhards Laden immer gut besucht und das Geschäft blühte.
Des Schweines warme Semmeln gingen weg wie... warme Semmeln eben.
Dazu
kam, daß der fast stets wohlgelaunte Eberhard seine Kunden mit
immer neuen, wahren und erfundenen, Geschichten unterhielt, nie um ein
witziges Wort, einen frechen Spruch verlegen war. Die Kundschaft,
selbst nicht aufs Maul gefallen, wußte immer eine passende
Antwort auf Eberhards Sprüche und so kam es, daß in
Eberhards Imbißladen ein ständiges Schwatzen, Lachen
und - wir sind in Neapel - Singen war.
Eines
Tages nun war einem gewissen Giuseppe Matuzzi, einem
Teppichhändler, in letzter Sekunde ein großes
Geschäft durch die Lappen gegangen. Giuseppe Matuzzi war
darüber rechtschaffen sauer und so eilte er die drei Meter von
seinem Teppichladen quer über den Spaccanapoli hinüber in
Pirzers Imbiß, um dort am Grunde eines Krügleins Wein
seinen Trost zu finden.
"'n
iurn'", begrüßte Eberhard den Eintretenden freundlich. "Wein
und Brot, wie immer?"
Giuseppe
Matuzzi, des entgangenen Geschäftes wegen in düstere
Gedanken versunken, nickte zerstreut. Besann sich dann eines
Besseren und rief: "Nein, heute nur Wein."
Eberhard
Pirzer wußte, was es bedeutete, wenn Giuseppe Matuzzi auf seine
morgendliche Semmel mit Tomaten und Mozzarella verzichtete. Als er ihm
den verlangten Krug Wein reichte, rief er Giuseppe freundlich, um ihn
aufzuheitern, zu:
"Die Stirn
umwölkt, die Brauen eng
So schiebt
sich Beppe in's Gedräng'."
Schlimm
genug, wenn du sauer bist. Wenn du aber dann noch in deiner
Säuernis fröhlich angedichtet wirst, kann es dir, falls du
ein temperamentvoller Mensch bist, leicht passieren, daß du aus
dem Ruder läufst.
Giuseppe
Matuzzi war ein temperamentvoller Mensch und er lief aus dem Ruder.
Mit
einem jähen Ruck riß er dem freundlichen Schwein den Wein
aus der Pfote, setzte den Krug an die Lippen und trank ihn in einem
einzigen tiiieefen Zuge aus. Anschließend knallte er den
leeren Krug heftig auf die Theke, um dann wütend
loszubrüllen: "Dein Wein, du Schwein, wird auch immer saurer. Und
deine Scheiß-Semmeln kann sowieso keiner fressen. Schieb sie
dir doch..."
Hier
wollte Giuseppe Matuzzi eigentlich "...in den Arsch" sagen, besann sich
aber noch rechtzeitig darauf, daß dies doch eine - selbst nach
neapolitanischen Maßstäben - sehr ungehörige
Formulierung für einen Teppichhändler gewesen wäre,
und wich auf "sonstwohin" aus.
Eberhard
Pirzer war, wie gesagt, ein gemeinhin wohlgelauntes, freundliches
Schwein. Was er aber nicht - und zwar überhaupts und gar nicht -
vertragen konnte, waren dumme, geschweige saudumme, Bemerkungen
über seine echt Zwieseler Bayerwald-Semmeln.
Der
freundliche Eberhard wurde von einem mächtigen Zorn ergriffen.
"Nicht fressen kann er also meine Semmeln! Was?" schrie er und das
waren seine vorerst letzten Worte im neapolitanischen Dialekt. So
groß war sein Zorn, daß er im Folgenden in die vertraute
Mundart seiner Kindheit im Bayerwald zurückfiel. "Er, der sej
Teppichtandler, daat mei - ne Semmeln net meng, ha!"
Und er
hob seine mächtigen Schweinebäckerpranken und hieb damit auf
den vor ihm auf der Bäckertheke liegenden Teigklumpen ein,
woraufhin der Teig, der eine Karriere als Semmel vor sich hatte,
erschreckt zur Seite quoll. Und weiter schrie der Bäcker
Eberhard: "Mag er nit, ja?" und hieb erneut auf die Bäckertheke
und den darauf liegenden Teig ein, der nun kein Klumpen mehr war,
sondern nur noch ein flacher Fladen. Und mit jedem Schlage, der mit
einem lauten "Mag er nit, ja?" Eberhard Pirzers auf den armen Teig
niederprasselte, wurde dieser immer dünner und dünner und
breiter und breiter.
Immer
noch voller Wut auf diesen Mistkerl Giuseppe Matuzzi, der sich
längst verdrückt hatte, langte Eberhard Pirzer mit der Kelle
in die Tomatensoße und klatschte sie, "Da, freßt's es! Da,
freßt's es!" schreiend, auf den armen, dünnen Teig. Dann
griff er sich einige unschuldige Mozzarellakügelchen,
quetschte sie mit seinen Schweinepranken platt, um sie dann in die
aufspritzende Tomatensoße zu donnern. Wie ein Wahnsinniger
lachend streuselte er schließlich noch reichlich Basilikum auf
sein grauenvolles Machwerk.
Zu
guter Letzt packte er das ganze Glump, wie es war und schmiß es
in den Backofen.
"Oh!"
rief da mit dünnem Stimmchen der arme Tagelöhner Antonio
Leporello, der seit Tagen nichts Rechtes mehr zwischen die
Zähne bekommen hatte.
"Was
'oh!'"? So laut brüllte das zornige Schwein den dünnen,
hungrigen Mann an, daß dieser in seinem Schreck einige Meter
weit zurück stolperte.
Dann
weinte der arme Mann, und er wußte selbst nicht recht, ob vor
Schreck oder vor Hunger oder vor Wut auf das im Zorn vergeudete
Essen.
Als
aber das rasende Bäckerschwein den armen Leporello weinen sah, da
war seine Wut in Sekundenfrist verraucht. Es pustete noch einmal
kräftig aus, dann packte es seine Bäckerschaufel und holte
die gräßlich verformte, rot besoßte, weiß
gesprenkelte und grün bestreuselte Bayerwald-Semmel wieder aus dem
Backofen.
"Da",
sprach er, nun wieder im vertraut-freundlichen Tonfall des Bäckers
Eberhard zu Antonio Leporello. "Ich schenk' sie dir. Es ist zwar nicht
mehr viel los mit dieser flachen, halbverbrannten Semmel, aber essen
kann man sie schon noch, glaube ich."
Der
arme Tagelöhner beguckte sich das merkwürdige Teigstück
eine Weile, roch argwöhnisch daran, biß dann jedoch,
ausgehungert wie er war, ein Stückchen von dem bekleckerten Fladen
ab.
Vorsichtig
kaute er an dem knurpseligen Teigstück herum und schluckte es
schließlich hinunter.
"Und?
Schmeckt's?" fragte Eberhard.
Antonio
aber konnte nur noch nicken, denn er hatte bereits den zweiten, diesmal
einen riesigen, Bissen im Mund und kaute ihn hungrig und
genußvoll.
Als
die anderen Gäste in Eberhards Imbiß sahen, mit welchem
Appetit der eben noch so vorsichtig kostende Tagelöhner nun
auf einmal loslegte, wurden ihre Arme und Hände und Finger
länger und länger und noch ehe der arme Antonio so richtig
protestieren konnte, war der dampfende belegte Fladen in viele
Stücke zerrissen und in ebensovielen Mündern
verschwunden.
Die
Kundschaft war begeistert von der Kostprobe und man verlangte
allenthalben nach einem eigenen Fladen, so daß Eberhard Pirzer
schließlich nichts anderes übrigblieb, als seufzend seine
für die Bayerwald-Semmeln vorbereiteten Teigklößchen
plattzuwalzen, mit Mozzarella, Tomatensoße und
Basilikum zu belegen und dann in den Ofen zu schieben. Antonio
Leporello jedoch bekam ein Gratisstück gebacken und
bekam es von da an jeden Tag.
Die
Nachricht von Eberhards neuartigem Gebäck verbreitete sich
nämlich rasch im Viertel. Alle kamen und kosteten von dem
Fladen, den jedermann für eine Spezialität aus der Heimat
Eberhard Pirzers jenseits der Alpen hielt. Und alle kamen begeistert
wieder.
Und
weil keiner von Eberhards Kunden des Bayerwald-Dialektes kundig
war, hielt man den wütenden Ausruf des Schweines beim
Plattmachen des Teiges für den Namen des Gebäcks. Man
nannte es fortan "Pirzers Magernitja", was sich im Laufe der Jahrzehnte
und Jahrhunderte abschliff und als "Pizza Margherita" in die
italienische und schließlich in die Weltküchensprache
einging.
Unter
den begeisterten Neapolitanern, die noch am Tage seiner Erfindung
von dem neuen Gericht kosteten, war auch der verhinderte
Geschäftspartner von Matuzzi. Als er erfuhr, daß man
diese Köstlichkeit der schlechten Laune Giuseppe Matuzzis
seinetwegen zu verdanken hatte, lachte er herzlich und schloß am
folgenden Tage das erhoffte Teppichgeschäft mit Giuseppe Matuzzi
doch noch ab.
Das
aber ist eine andere Geschichte, die in Neapel als "Das
Teppichwunder vom Spaccanapoli" von den Großmüttern bis
auf den heutigen Tag den Enkeln erzählt wird.
Noch
heute gehen Teppichhändler und andere Geschäftsleute in
Neapel nach Abschluß eines wichtigen Geschäftes
gemeinsam eine Pizza (eigentlich ja: Pirzer) essen.
Die Geburt der Tragödie
aus dem Geist der Musik.
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