Warum die Pflanzen nicht sprechen können
Im Anfang schuf Gott Himmel und
Erde.
Das alleine wäre auf Dauer langweilig gewesen, so daß er in
den folgenden Tagen jeweils einen draufsetzte, was zur Schaffung von Tag und
Nacht, Land und Meer, Pflanzen und Tieren, Adam und Eva führte.
Gott besah sich das Geschaffene und er sah, daß es gut
war.
Es war eine still verträgliche Welt, die Gott da erschaffen
hatte. Man lebte friedlich mit- und nebeneinander, keiner fraß den Anderen
auf.
"Ja, hier läßt es sich wohlsein", sagte die eng an einen
Löwen gekuschelte Gazelle. "Doch, nicht schlecht hier", stimmte der Löwe zu,
genüßlich an einer Banane kauend.
"Hm, recht ordentlich", brummte auch Adam zufrieden. "Besser
kann's nirgends sein."
"Ob das nicht ein bißchen vorlaut ist?" meinte Eva spitz. "Wo
du doch keine Ahnung hast, wie's anderswo aussieht?"
Sie hatte noch eine weitere Bemerkung auf der Zunge, aber ein
flammender Blick Gottes brachte sie zum Schweigen.
Gott nämlich, der eben in lächerlichen sechs Tagen einen
ganzen Kosmos aus dem Nichts erschaffen hatte, verspürte keine Lust, sich die
Nörgeleien einer Menschin anzuhören, die nichts geleistet hatte, außer Löwen zu
kraulen, Bananen zu essen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu
lassen.Gott aber war mit sich und seiner Schöpfung im Reinen und ruhte erst mal
ein Weilchen.
Bis die Pflanzen zu meckern anfingen.
Es könne wohl nicht angehen, meinten sie, von einer
friedlichen, paradiesischen Welt zu sprechen, solange in diesem sogenannten
"Paradies" friedlich in den Tag hineinwachsende Pflanzen Stunde um Stunde von
irgendwelchen Tieren belästigt und letztlich gefressen würden.
"Wir Banananstauden zum Beispiel", mäkelte ein ganz besonders
großes Exemplar, "mühen uns Monat um Monat, zu wachsen und uns fortzupflanzen.
Kaum aber sind unsere Kinder herangewachsen, kommen die Affen, die Elefanten und
die Löwen, pflücken sich die reifen Früchte von der Staude und verschlingen sie.
Roh und gnadenlos. Wenn das 'friedliches Zusammenleben der Lebewesen' sein soll,
will ich gar nicht wissen, was Krieg heißt."
Erdnußstauden, Apfelbäume und Gräser stimmten in die Klagen
ein. Vor allem die Gräser beklagten sich darüber, daß sie von Rindern und Tigern
nicht nur gefressen würden, sondern daß ein Großteil von ihnen durch
rücksichtsloses Drauftrampeln zuschanden werde.
Das alles geschehe nach seinem - Gottes - Willen, ja? Und
nenne sich "paradiesische Behaglichkeit"? Ha! Darüber könne man nur lachen,
meinten die Pflanzen, lachten aber nicht, sondern raschelten wütend mit ihren
Blättern.
"Die Pflanzen haben, scheint mir, recht", meinte Eva und warf
die halbe Banane, an der sie eben noch gekaut hatte, unauffällig in einen empört
aufschreienden Busch.
"Na ja", sagte ein mehr oder weniger zufällig in der Nähe
herumstehender Elefant, nachdem er Evas halbe Banane unzerkaut verschlungen
hatte, "aber irgendwas müssen wir Tiere
doch fressen."
Gott, der es in diesem Moment bitter bereute, daß er die
Menschen nach seinem Bild und Gleichnisse erschaffen hatte und nicht die
Elefanten, nickte dem Riesentier dankbar zu.
"Macht es doch wie wir", piepste ein Grashalm, der
unmittelbar vor dem linken Hinterfuß des Elefanten aus der Erde wuchs. "Baut
euch die Nährstoffe selber aus Wassser, Erde und Sonnenlicht auf. Das
funktioniert ganz präch..."
Weiter kam der Grashalm nicht, denn der Elefant war vor
Aufregung über soviel Schwachsinn einen kleinen Schritt nach vorne getrippelt.
"Aber dann wären wir ja keine Tiere mehr, sondern ebenfalls Pflanzen. Das muß
man doch einsehen."
"Das heißt aber dann doch nichts anderes", mischte sich nun
auch Adam in die Diskussion ein, "als daß das Konzept des friedlichen,
gewaltfreien Paradieses einen gigantischen Denkfehler enthält."
"Gigantischer Denkfehler?" fragte Gott nach.
"Aber sicher", meinte Adam frohgemut, dem in seiner
scharfsinnigen Einfalt der drohende Unterton in der Stimme Gottes entgangen war.
"Bereits die Erschaffung des einfachsten Tieres brachte das Element der
Gewalttat, des Verschlingenmüssens um des Lebenkönnens willen in die Schöpfung
hinein. Was wir hier haben ist demnach kein wirkliches Paradies, sondern ein
sogenanntes solches."
"Damit aus dem sogenannten 'Paradies' ein wirkliches wird",
grollte Gott, "bestünde demnach theoretisch der erste Schritt darin, dich - Adam
- wieder draus zu entfernen."
"Öhm, ja", schluckte Adam schwer, "theoretisch. Aber
theoretisch ist natürlich andererseits ein Paradies, das erst durch eine
Gewalttat, nämlich die Vernichtung des Menschen, zum vollkommenen Paradies wird,
auch kein wirkliches mehr, sondern nur noch ein sogenann..."
"Ihr redet euch leicht!" riefen da vier Palmen im Chor. "Rein
theoretisch! Während unsere Kinder weiterhin ungestraft von affenartigen
Monstern gefressen werden."
"Also mir reicht das Palaver allmählich", brummte Gott, und
seine Stirn umwölkte sich gefährlich. "Ich habe keine Lust, mir das Geschwätz
weiter anzuhören."
"Ach, nein? Der Herr haben keine Lust?" brüllten die Palmen,
jetzt wirklich saugrantig, weiter.
"Nein, hat er nicht!" schrie Gott mit schriller,
überschnappender Stimme zurück.
"Der Herr machen es sich leicht!"
"Macht er sich", entgegnete Gott schnippisch. Dann machte er
mit Ringfinger und Daumen der rechten Hand ein schnalzendes Geräusch und die
Palmen, die grade zu einer neuen Tirade angesetzt hatten, waren mit einem Male
still. Die Gräser hörten auf zu piepsen, die Bananenstauden mäkelten nicht mehr,
Apfelbäume und Erdnußstauden klagten nicht länger.
Einzig das Rauschen der Blätter im Winde ist seither noch von
den Pflanzen zu hören. Ab und zu jedoch lassen lassen sie, zum Zeichen ihres
Protestes, eine Kokosnuß, einen Apfel oder eine Erdbeere vernehmlich zur Erde
plumpsen. Wobei sich das Plumpsen bei den Erdbeeren allerdings eher in Grenzen
hält.
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