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Zwei Systeme - Zweierlei Polizei
Unruhige Tage (1987) in
Gesamt-Berlin machen krasse Unterschiede zwischen Ost und West
deutlich
Die Demonstrationen
und Polizeieinsätze von Kreuzberg/ Ku'damm/ Tauentzienstraße auf der einen Seite
und Unter den Linden auf der anderen Seite sind kaum miteinander zu vergleichen,
weder vom Anlaß noch gar vom Ausmaß her. Klar.
Trotzdem: die große
räumliche und zeitliche Nähe dieser Unruhen verführt dazu, sie dennoch irgendwie
miteinander in Beziehung zu setzen, sie letztlich also doch zu
vergleichen. Nun gut, soll sein.
Von wegen Ähnlichkeit
Der taz-Kommentator Erich Rathfelder kam am Ende seines
Systemvergleiches zu dem Schluß, Berlin West und Berlin Ost seien nach diesen
Polizeieinsätzen "näher
zusammengerückt", beide Seiten seien sich "ein Stück ähnlicher geworden".
Das kann ich nun überhaupt nicht finden.
Ich habe die Fernsehbilder vom Kreuzberger Maianfang gesehen,
von den verhinderten Zaungästen beim Pfingstkonzert und schließlich die Bilder
von den Folgen des Reagan-Besuches, dies- und jenseits der Mauer. Und mir sind
die Unterschiede zwischen den Ereignissen in Ost- und in West-Berlin ganz
aufdringlich vor Augen gesprungen. Mir haben diese unruhigen Tage gezeigt, wie
sehr sich die beiden Deutschlands mittlerweile auseinander entwickelt haben.
Kein Helm und kleine Knüppel
Da zieht in West-Berlin eine Polizeistreitmacht von
10.000 Mann auf, mit Helmen, Schilden, Schlagstöcken, Wasserwerfern und
Tränengasgranaten bewaffnet. Mit klassischen Polizisten haben die nichts mehr zu
tun, das ist eine klassische Bürgerkriegsarmee reinsten Wassers.
In Ost-Berlin sehe ich auch Polizisten aufziehen, um gegen
Bürger vorzugehen, Aber was für Polizisten!
Sie stecken in derselben leichten Sommer-Uniform in der sie vermutlich
vor kurzem noch den Verkehr geregelt haben. Auf dem Kopf haben
sie Stoff-Käppchen, keine Helme und sind überhaupt lediglich mit dem
ausgerüstet, was ein Polizist normalerweise ohnehin mit sich trägt.
In West-Berlin knüppelt die Polizei mit (geschätzt)
halbmeterlangen Holz- und Gummiprügeln auf Demonstranten ein, auch dann noch,
wenn sie schon wehrlos am Boden liegen. Schwer demokratisch (Niemand darf wegen
seines Geschlechtes bevorzugt oder benachteiligt werden) kriegen Frauen ebenso
ihre Tracht Prügel ab wie die Männer.
In Ost-Berlin wird zu Pfingsten auch geprügelt, wohl wahr.
Die im Schutze des Real Existierenden Sozialismus Demonstrierenden genießen aber
immerhin den Vorzug, mit diesen kleinen, altmodischen Gummiknüppelchen verhauen
zu werden, mit denen früher auch hierzulande die Polizei ausgerüstet war.
Wasserwerfer statt/oder Kehrmaschine
In West-Berlin ist
Großkampftag: ein ganzer Stadtteil wird schlicht und einfach abgeriegelt,
dichtgemacht. Trotz laufender Tagesschau-Kameras sagt ein Polizist
(offensichtlich ohne sich dabei zu schämen) einer verschreckten jungen Frau im 2
CV, warum sie nicht aus Kreuzberg rausfahren darf: "Weil Sie so aussehen, als könnten Sie
möglicherweise in der City Krawall machen." Tagesschau vom 12. 6.
1987 (Solche Sätze kannte man bisher nur aus dem Kabarett.) Auch
dort, wo eigentlich gar nichts los ist, macht die Polizei eine ganze Menge los:
"Ob beim Verlassen eins Lokal oder beim
Absitzen vom Motorrad, viel wurden seit dem Vorabend des Staatsbesuches ohne
ersichtlichen Grund, weit ab von jeder Barrikade, 'nach Augenschein' im
Polizeigriff gepackt und 'zur Gefahrenabwehr' abgeführt, Greiftrupps jagen
'Verdächtige' bis in die entlegensten Straßen und Hinterhöfe. Wohnungen wurden
gestürmt:" Und: "Es ist nicht ratsam,
in diesen Zeiten zu dritt durch die Straßen zu gehen. Zu groß ist die Gefahr,
plötzlich als Kleindemonstration verkannt und von rasant nachsetzender Polizei
verfolgt zu werden." taz 15. 6. 1987.
Oder eine unverdächtigere, weil staatsbrave Quelle: "Journalisten und Notärzte berichten
übereinstimmend, daß völlig unbeteiligte Personen von Polizisten regelrecht
verprügelt worden seien, auch wenn sie noch am Boden lagen... Zu dieser Zeit gab
es weder Ausschreitungen noch Zusammenrottungen von Chaoten." DIE ZEIT 19. 6.
1987
In Ost-Berlin fordert die Volkspolizei eine unerwünschte
Zusammenrottung "über Lautsprecher auf:
'Bürger!' Setzen Sie Ihren Weg fort! Bleiben Sie nicht stehen! Gehen Sie weiter!
Kaum jemand hielt sich an diese Weisung." Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 13. 6. 1987. Und was macht die DDR-Volkspolizei angesichts
dieses Ungehorsams? Fahren jetzt "Wasserwerfer mit Reizgasbeimischung"
(Polizeijargon für CN- und CS-Gasschleudern) auf und spritzen und tränen die
aufsässige Menge auseinander? Ach, was! "Nachdem die Menge sich trotz wiederholter
Aufforderung nicht entfernt hatte, fuhr am Freitag nachmittag schließlich ein
Reinigungsfahrzeug langsam durch die Reihen der Schaulustigen." Mittelbayerische Zeitung 13.
6. 1987. Bei Gott, ich habe das Ding in der Tagesschau gesehen: es
war eine Kehrmaschine, so klein und leicht gebaut, daß vier entschlossene Frauen
(oder Männer) sie hätten umkippen können. Ganz langsam und zaghaft bahnte sie
sich mit drehenden Kehrbesen einen Weg durch die Menge.
Prügel für westliche Journalisten in West-Berlin
In West-Berlin ist es am Präsidenten-Tag für Journalisten nur
unter großer Gefahr für Ausrüstung und Gesundheit möglich, aus Kreuzberg zu
berichten. "Ein Journalist des
'Tagesspiegel' ruft Freitag nacht in der OranienstraBe mehrfach 'Presse,
Presse', bevor er von der Polizei zum Schutze des Gemeinfriedens niedergeprügelt
wird." taz 11. 6. 1987.
Und wieder ein unverdächtiger Zeuge: "Presseausweise und -plaketten wurden nicht
anerkannt, einem Rundfunkreporter wurde das Bandgerät zerstört, einem
Pressefotografen wurden die Zähne locker geschlagen " DIE ZEIT 19. 6.
1987.
In Ost-Berlin sei zu Pfingsten die Berichterstattung über die
Rock-Unruhen durch die staatlichen Organe verhindert worden, klagt die Tagesschau
- und bringt dann ausführliches Bildmaterial über eben diese Unruhen weitgehend
mit ruhiger, also unbelästigter Kamera gedreht. Einer der Techniker aus dem
Fernsehteam sei übel mißhandelt worden, hieß es. Schlimm, aber: in Wackers-,
Brok- oder Zehlendorf wäre er genauso vermöbelt worden, überdies aber hätte er
bei uns seinen Film vergessen können, beschlagnahmt oder unbrauchbar gemacht. In
Ost-Berlin dagegen durfte er seinen Film behalten und abends senden. Am
Reagan-Tag wurde der "ARD-Hörfunkkorrespondent Hartwig Heber...
von Sicherheitskräften aufgefordert, sein Mikrophon auszuschalten. Erst nach
Rückfrage durfte der Journalist seine Arbeit fortsetzen." Mittelbayerische Zeitung
13. 6. l987. "Erst nach Rückfrage..." heißt aber auch, letztlich durfte er ungestört berichten.
Gewisse Schwierigkeiten, Kreuzberg zu verlassen
Fazit: Ich kann die von Erich Rathfelder beobachtete große
Gemeinsamkeit zwischen Ost- und West-Berlin nicht sehen. Ausrüstung und
Verhalten der westberliner und westdeutschen Bürgerkriegs-Polizei haben in
diesen 80er Jahren nur noch sehr wenig gemein mit der - vergleichsweise -
zivilen und moderaten Volkspolizei Ost-Berlins. Die Bilder aus Kreuzberg wollen
mir so gar nicht den Bildern Unter den Linden gleichen; sie erinnern mich viel
eher an die Nachrichtenfilme aus Seoul, die derzeit fast jeden Tag in den
Nachrichten zu sehen sind.
Früher mal, es mag tausendundeinen Tag her sein, konnte man
in West-Berlin freier und entspannter atmen als drüben, in Ost-Berlin. Die
Zeiten sind vorbei.
Heute besteht der Gipfel der Liberalität darin, daß du dich
innerhalb eines eng umgrenzten Gebietes halbwegs frei bewegen kannst. "Für kraß überzogen... (halte ich) ...die
Behauptung, das wäre ein Belagerungszustand gewesen. Jeder konnte sich innerhalb Kreuzbergs frei
bewegen. Es gab für Personen, die
Kreuzberg verlassen wollten, lediglich um die frühe Nachmittagszeit gewisse Schwierigkeiten." Interview
mit Ulrich F. KRÜGER (CDU), Kreuzberger Vertreter im Abgeordnetenhaus., taz 15. 6.
1987
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