...und links, zwei,
drei...
Gespräch mit dem Verkehrsexperten Volker
Völz
Herr Völz, seit einigen
Jahren
sind auf deutschen Autobahnen die notorischen Linksfahrer zu einem
echten Problem geworden.
Linksfahrer sind nicht neu.
Seit es
Autobahnen gibt, halten sich manche Autofahrer nahezu
ausschließlich auf der linken Spur auf.
Inzwischen aber sind die
notorischen
Linksfahrer zu einem ausgesprochenen Massenphänomen geworden. In
schöner Regelmäßigkeit kann man sie auf zwar dicht
befahrenen, vom Kollaps aber noch ein Stück entfernten
Autobahnabschnitten beobachten. Während die rechte Fahrspur nur
von einigen Lkw und Kleinst-Pkw benutzt wird, drängeln sich auf
der linken Überholspur die Wagen - und keiner kommt mehr richtig
voran, weil die Autobahn künstlich verstopft ist, da sie nur noch
zur Hälfte genutzt wird. Ist doch verrückt, so was.
Das Wort "verrückt"
erklärt
nichts. Wer es benutzt, weigert sich, über die Gründe
für ein bestimmtes Verhalten nachzudenken.
Dann erklären Sie mir bitte
die
möglichen Gründe für so ein "verrücktes"
Verhalten der Linksfahrer.
Alle verhalten sich
"verrückt",
weil alle es für wahnsinnig "verrückt" halten, wie sich
alle verhalten.
Entschuldigen Sie, aber ein
Paradox zu
verwenden, ist mindestens genauso ausweichend wie die Verwendung des
Wortes "verrückt".
Also gut: Wenn Sie als
Autofahrer auf
eine solche halb genutzte...
...halb verstopfte...
...Autobahn kommen - was machen
Sie
dann?
Ich ärgere mich.
Das ist Ihr Gemütszustand.
Was
aber tun Sie? Welche Spur benutzen Sie?
Die linke natürlich.
Natürlich, weil die linke
Spur
die immer noch schnellere ist.
Nun, eigentlich... eigentlich
ist sie
das irgendwann nicht mehr.
Dann könnten Sie aber
"eigentlich" auf die rechte Spur wechseln. Die ist, wenn nicht
schneller, so doch immerhin sicherer, wegen der größeren
Abstände zwischen den Wägen.
Nun...
Aber Sie tun es nicht. Richtig?
Richtig. Jetzt, wo Sie das
sagen...
Eigentlich merkwürdig.
Versuchen wir, der Sache auf
die Spur
zu kommen. Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf einer noch normal
funktionierenden Autobahn. Weil Sie entschlossen sind, sich an Vernunft
und Straßenverkehrsordnung zu orientieren, fahren Sie rechts und
halten die empfohlene Richtgeschwindigkeit von 130 km/h ein. Bevor Sie
den Lkw vor Ihnen überholen, blinken Sie - und werden von einer
sich ungemein rasch nähernden Lichtorgel angeflammt. Die
Lichtorgel entpuppt sich als 7er-BMW, der gerade sein Menschenrecht auf
260 km/h wahrnimmt.
Rücksichtslos, wie solche
Leute
sind, läßt er mich natürlich nicht raus.
Der ist nicht
rücksichtslos,
sondern einfach wahnsinnig schnell. Der könnte Sie gar
nicht mehr reinlassen, selbst wenn er wollte.
Ich verstehe.
Ist der BMW vorüber,
können
Sie den Lkw überholen, um anschließend brav auf die rechte
Spur zurückzukehren.
Ein einfacher Vorgang.
Schon. In Wirklichkeit aber
gibt es
auf einer gutbesuchten Autobahn viele Wägen, die teils
erheblich schneller sind als Ihre 130 km/h, denn wegen der fehlenden
Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen liegen die
gefahrenen Geschwindigkeiten sehr weit auseinander, irgendwo zwischen
70 km/h und Gebrüder Schumacher. Alle schnelleren Wägen sind
logischerweise häufiger am Überholen als Sie selbst. Sie
werden also bei jedem Überholversuch erst mal mehrere
schnellere Wägen vorbeilassen müssen.
Ärgerlich, so was.
Mehr als das. Denn während
Sie
drauf warten, daß Sie auf die linke Spur wechseln können,
fahren Sie notgedrungen mit der langsameren Geschwindigkeit Ihres
Vordermannes. Ihre Durchschnittsreisegeschwindigkeit sinkt dadurch um
ein gutes Stück. Was machen Sie?
Was soll ich schon machen?
Sie sind ein geduldiger Mensch,
ich
weiß. Andere sind nicht so geduldig wie Sie. Was werden die
machen?
Sie werden... Ich beginne zu
verstehen:
Sie werden länger auf der linken Spur bleiben, um den Vorteil des
schnelleren Fahrwegs nicht so rasch wieder zu verlieren.
Und dabei werden sie merken,
daß
Linksfahren eine gute Idee ist. Noch.
Woraus folgt, daß sie sich
auf
der linken Spur festsetzen werden.
Richtig. Was für Sie auf
der
rechten Spur heißt, daß Sie wegen der nunmehr dichter
befahrenen linken Spur noch länger warten müssen, ehe
Sie endlich überholen können. Das kann, wenn Sie Pech haben,
jedes Mal Minuten dauern. Ihre Durchschnittsreisegeschwindigkeit
sinkt weiter drastisch ab. Was werden Sie machen?
Hm, irgendwann ist der Punkt
erreicht,
wo ich die Geduld verliere.
So ist es. Irgendwann verliert
jeder
die Geduld. Und dann macht er das, was die ungeduldigeren schon
längst vor ihm gemacht haben.
Auch er setzt sich auf der
linken Spur
fest.
Wodurch - bei leerer und leerer
werdender rechter Spur - die linke Spur immer mehr verstopft.
Die Geschwindigkeit dort wird zwangsläufig immer
niedriger.
Warum aber läßt mich
dann,
wenn die Geschwindigkeit ohnehin schon gesunken ist, keiner von rechts
nach links rüberfahren?
Weil die anderen im Recht sind.
Wer
grad am Überholen ist, hat Vorfahrt.
"Grad am Überholen" ist
gut. Diese
Art von "Überholen" zieht sich über viele Kilometer.
Ich sehe, Sie haben die
Spielregel
kapiert. Zig Kilometer Vorfahrt - gibt's Schöneres für einen
Autofahrer?
Demnach sind diese Leute also
doch
rücksichtslos?
Wenn Sie es unbedingt moralisch
sehen
wollen. Aber es ist natürlich auch eine Frage der Sicherheit. So
langsam man immer auf der linken Spur fährt, man ist, bezogen auf
die Abstände zwischen den einzelnen Autos, immer noch zu schnell
dran, um sich unnötige Bremsmanöver leisten zu können.
Aber dadurch ist nur die halbe
Autobahn
ausgelastet.
Bedauerlicherweise.
Und es bleibt nichts mehr zum
wirklichen Überholen.
Weswegen viele Strecken
dreispurig
ausgebaut sind.
Damit dort die linke und die
mittlere
Spur voll sind.
So ist es.
Das ist doch Wahnsinn.
Nein, sondern tragische
Unausweichlichkeit.
Das glaube ich nicht. Wenn
diejenigen,
die gerade links fahren, jene, die vor ihnen zum Überholen nach
links wechseln wollen, herausließen, dann würde die
Situation gar nicht entstehen.
Dann müßte jener
aber von
vorneherein langsamer sein, damit er überhaupt noch reagieren kann.
Ja und?
Auf der Autobahn will jeder so
schnell
fahren, wie er nur kann.
Hm. Insgesamt gesehen kommt er
so aber
langsamer voran. Es wäre demnach vorteilhafter für ihn, auf
sein Recht zu verzichten und vor ihm Überholende rauszulassen.
Vorteilhaft wäre es nur
dann,
wenn es alle machen würden. Solange nur er es macht, zahlt er
drauf.
Warum machen es nicht alle?
Weil keiner damit anfängt.
Gehe
ich zu weit, wenn ich behaupte, daß man auf deutschen Autobahnen
deshalb so langsam vorankommt, weil man auf deutschen Autobahnen so
schnell fährt?