In
Prominenten-Interviews, in Illustrierten-Fragebögen oder bei sonstigen Umfragen
zum Jahresende taucht eine beliebte Frage immer wieder auf:
"In
welcher Zeit hätten Sie am liebsten gelebt?"
Was
die Antworten betrifft, so sind es die Altphilologen, die sich in die Griechen-
oder Römerzeit zurückträumen, Toga um den Leib und Lorbeer auf dem Haupt.
Andere sehen sich als Ritter in blanker Rüstung auf ihrem Pferd nach
siegreicher Schlacht die Huldigungen des Volkes entgegennehmen. Wiederum andere
trauern dem galanten Rokoko mit seinen phantastischen Bauten, seiner
berauschenden Musik in gepflegten Gärten nach.
Mir
fällt auf so eine Frage - nicht, daß sie mir schon mal einer gestellt hätte -
nach einigem Nachdenken nur die eine Antwort ein:
"Die
Zeit, in der ich lebe."
Nun
darfst du viel von mir glauben, wenn du willst, nur ja nicht dies: Daß ich
nämlich vernarrt wäre in meine Zeit oder gar in dieses, mein Land.
Es
ist bloß so, daß ich diese Zeit, in der ich wirklich lebe, kenne, ich habe mich
mit ihren Vor- und Nachteilen arrangiert, komme damit so einigermaßen klar.
Eine Reise in die Vergangenheit (ohne Wiederkehr, nicht einfach nur mal so für
zwei oder drei Wochen) würde mir viel - zuviel - an Anpassungsleistung abverlangen
.
Wenn
aber nun die berühmte Fee käme, mir verspräche, sie würde mir im relativ
friedlichen Rom der frühen Kaiserzeit eine neue Existenz von Anfang an (als
Säugling) verschaffen, so daß ich mich von klein auf anpassen und gewöhnen
könnte - würde ich anbeißen?
Ich
glaube nicht.
Freilich
könnte ich mir eine Existenz in einem geräumigen römischen Stadthaus, sommers
in meinem Landhaus in Campania, sehr gut und ausgesprochen angenehm
vorstellen. Nur: wer lebte auf diese Weise und wer zahlte die Spesen für diese
Art zu leben?
Die
Chancen, daß ich als Sproß der römischen Oberschicht oder zumindest der
einigermaßen gediegenen Bürgerschaft auf die Welt käme, wären verdammt gering.
Viel wahrscheinlicher wäre es doch, daß ich als Sohn einer Sklavin oder sonst
eines armen Wurms auf die Welt käme. Und unter diesen Voraussetzungen scheiße
ich auf das Alte Rom.
Abgesehen
davon bin ich als Zweijähriger an Blinddarmentzündung erkrankt, eine Sache,
die 1952 kein größeres medizinisches Problem mehr war, die aber noch 200 Jahre
zuvor mit hoher Wahrscheinlichkeit mein Todesurteil gewesen wäre. Und wenn ich
überlebt hätte, dann hätte sich herausgestellt, daß ich kurzsichtig, und zwar
schwer kurzsichtig bin. Vor zweihundert Jahre hätte es zwar schon eine
leidlich brauchbare Brille dafür gegeben, die Krankenkasse, diese Brille auch
für einen Normalmenschen bezahlbar zu machen, gab es damals allerdings noch
nicht.
Wahrscheinlich
wäre ich in den allermeisten der möglichen Vergangenheit niemals erwachsen
geworden. Wenn mich nicht schon die Blinddarmentzündung dahingerafft hätte,
dann wäre ich eben irgendwann in einen Brunnen gestolpert oder in eine Schlucht
gefallen oder sonstwie durch meine Sehbehinderung zu Tode gekommen.
Nö,
ich bliebe hier, auch wenn die gute Fee mit ihrem Vorschlag käme.
Außerdem
kannten die Römer weder Kaffee noch Tabak.