Nachstehenden Aufsatz
habe ich so um 1975 herum als Entwurf für ein Flugblatt geschrieben, das an der
Uni Regensburg verteilt werden sollte.
Anmerkung: Beim
Wiederlesen nach 36 Jahren habe ich gemerkt, daß die Formulierungen an manchen
Stellen unnötig kompliziert sind. Ich würde diesen Text heute einfacher
schreiben.
Wenn ein Mensch einem anderen Menschen etwas mitzuteilen
hat, und wenn diese Mitteilung Folgen zeitigen soll - nicht irgendwelche
Folgen, sondern die von Autor beabsichtigten - dann muß diese Mitteilung
gewissen formalen Kriterien genügen. (Daß der Inhalt der Mitteilung überhaupt
mitteilenswert ist, sei - leichtsinnigerweise - vorausgesetzt.) Es reicht nicht
aus, etwas inhaltlich - mehr oder weniger - Richtiges zu Papier zu bringen und
dann in tausendfacher Auflage auf die Mensatische zu legen. Bedrucktes Papier
wird nicht schon allein deswegen gelesen, weil es da ist und nichts kostet;
dazu ist das Angebot zu groß.
Damit ein schriftlich formulierter Gedanke Veränderungen
beim Leser überhaupt bewirken kann - zuerst im Hirn und dann, vielleicht,
im Verhalten - muß er erst gelesen, genauer: zu Ende gelesen werden. Nicht nur
gelesen muß er werden, er muß auch verstanden, richtig verstanden werden. Richtig
verstehen heißt hier: genau in dem Sinne, in dem er vom Autor geschrieben
worden ist. Banalitäten aus den Chinesischen, eben Gesagtes. Trotzdem wird man
bei Lektüre so mancher Blätter, die an dieser Uni vom Mensaessen ablenken, den
Verdacht nicht los, der jeweilige Verfasser habe sich beim Schreiben keine - im
Wortsinne: keine - Gedanken darüber gemacht, wer eigentlich das lesen soll,
was er schreibt, und wie der Leser das Gelesene wohl interpretieren wird.
Versponnene Abhandlungen, traumtänzerisch geschrieben von Eingeweihten für
Eingeweihte. Dem Wissenden schulterklopfend das Wissen bestätigend, dem
Unwissenden die Unwissenheit dick aufs Brot schmierend. Köstlicher Nektar für
die "Elite", ranzige Überheblichkeit für das "Volk".
Sprache ist ein Instrument, gedankliche Inhalte bewußt zu
machen und zu übermitteln. Diese Aufgabe soll und kann sie erfüllen. Sie kann
aber noch mehr: Fürtrefflich gar ist sie geeignet, eben diese gedanklichen
Inhalte zu verschleiern. Da wird ein Inhalt in ein dichtes Gewebe sprachlicher
Kunstfertigkeiten gehüllt, mit einer kräftigen Prise ritueller Leerformeln
gewürzt und dann mit einer zähen Begriffssoße in "wissenschaftlicher"
Manier zu einer harten Kruste verbraten. Der Konsument solcherart verpackter
Weisheit muß dann Hammer und Meißel aus der Schublade kramen und in mühsamer
Arbeit diese Kruste erst einmal knacken. Hat er es endlich geschafft, ist er
meist so erschöpft, daß er kaum noch merkt, wie dürftig der Inhalt eigentlich
ist, den er nun löffelt. (Das Erlernen der Fertigkeit, solche Sprachpanzer zu
knacken, bzw. selbst herzustellen, nimmt einen Gutteil der Ausbildung in den
Geisteswissenschaften in Anspruch.) Wer Wissen vermittelt, das erlernt werden
muß, weil es schließlich geprüft wird, kann es sich leisten, so zu verfahren;
ist dies auch unökonomisch, so schmeichelt es doch sowohl dem Autor als auch
dem Leser, der den Geheimkode entschlüsselt hat.
Im politischen Kampf um die Köpfe der Studenten wird nun der
Fehler gemacht, solcherart angelesenes Wissen ohne stilistische Vermittlung
durch den eigenen Kopf wieder auszuhusten. Zugunsten einer wissenschaftlichen
Abstraktheit verzichtet man auf die Bildhaftigkeit der Sprache, dichtet man
die ätherischen Gefilde des theoretischen Klassenkampfes hermetisch ab gegen
die unfeinen Ausdünstungen des realen Lebens. Abstrakte Begriffsgerüste
bedürfen der Ausfüllung durch sprachliche Bilder und konkrete Beispiele um eben
dieses Ausfüllen nicht der - möglicherweise - mißverstehenden, individuellen
Phantasie des Angesprochenen zu überlassen. Wenn kein Zwang zum Lesen eines
Textes besteht, dann muß dieser Text eben so geschrieben sein, daß er gerne
gelesen wird. Aber man ist offensichtlich zu faul oder unfähig, die
sprachliche Form dessen, was man sagen will, so zu verändern, daß es auch während
der Verdauungszigarette in der Mensa noch genießbar ist. Denn hier hat der
Student die Möglichkeit, sprachliche Zumutungen auch als solche zu empfinden
und unbekömmliche Flugblätter rülpsend zur Seite zu schieben. Hier, zumindest
hier, kann er verlangen, klargeschriebene Texte zu lesen; Texte, deren
Komplexität der Komplexität der behandelten Materie entspricht, Texte, die
nicht versuchen, durch linguistisches Säbelrasseln akademische Eitelkeiten zu
pflegen.
Politische Flugblätter wollen nicht nur - als Selbstzweck -
gelesen werden, sie wollen nicht nur, indem sie gelesen werden, Informationen
vermitteln. Sie werden geschrieben in der Absicht, Veränderungen im Bewußtsein
des Lesers zu bewirken, und, ausgehend von diesen Veränderungen, jenen zu einem
bestimmten Verhalten zu provozieren. In Klartext: Sie wollen die
Unzulänglichkeiten des bestehenden Systems aufzeigen und bewußt machen, und,
daraus folgend, Bundesgenossen gewinnen im Kampf gegen dieses System. Wenn ich
aber jemand von einem Ort weg und zu mir her ziehen will, dann muß ich den Haken,
der dies bewerkstelligen soll, bei jenem ansetzen, den ich bewegen will, und
nicht bei mir. Wiederum in Klartext: Ich muß in dem, was ich sage - natürlich
- ausgehen von dem, was ich denke, in
dem, wie ich es sage, muß ich aber ausgehen von dem, was jener
denkt. Ich muß ausgehen von dessen Begriffen und Denkschemata, dessen
vertrauten Vokabeln und Lesegewohnheiten um überhaupt die Chance zu haben, daß
er eingeht auf das, was ich meine. Formale Anlehnung an jenen, den ich
anspreche, ist ein Vehikel, dazu dienend, jenem die inhaltliche Anlehnung an
das, was ich anspreche, zu erleichtern.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Gemeint ist hier nicht das
Einschmeicheln beim "Wählervolk", jenes Buhlen um Stimmen mit Argumenten
und Programmen, an die man sich, erst einmal gewählt, mitnichten zu halten gedenkt.
Gemeint ist hier nicht das - betrügerische - Taktieren mit inhaltlichen
Zugeständnissen an den "Publikumsgeschmack", jenes freundliche
Grinsen mit den Zähnen, während die Arschbacken sich grimmig runzeln. Hier ist
vielmehr die Rede von der Notwendigkeit und Möglichkeit, Verständnisschwierigkeiten
und Kommunikationsbarrieren abzubauen, bzw. gar nicht erst aufzurichten. Hier
ist die Rede vom Verzicht auf Vokabeln, die im günstigsten Fall auf Unverständnis
stoßen, im schlimmsten Fall aber aggressive Ablehnung provozieren, die nicht
inhaltlich begründet ist. Wer schon einmal erlebt hat, wie bei der bloßen
Erwähnung von Worten wie "Klassenkampf", "Kapitalist",
"Proletariat" etc. beim Gesprächspartner das Visier herunterfällt,
wie er sich plötzlich, ohne es zu merken, weigert zuzuhören, wie er hinter
jedem Wort nur noch den Kommunisten wittert, der ihm seinen Schrebergarten
wegnehmen will, der weiß, was hier gemeint ist. Wem es schon einmal gelungen
ist, einem treuen CSU-Wähler linke Thesen unter die Weste zu jubeln, nur weil
er statt obiger Reizworte Umschreibungen benutzte, ohne dabei den Inhalt zu
verändern, der weiß, welche Macht in diesen linguistischen Mummenschanz steckt;
der weiß, daß es sich hier nicht um Betrug handelt, sondern schlicht um Verständigung.