Heimat
und Wegwerf-Maximen
Die Doppelwertigkeit (oder seine Wertlosigkeit, was dasselbe ist) des
Begriffes "Heimat" bekommt der Deutsche gelegentlich zu spüren.
Wenn ein Politiker in Parlament und Nadelstreif eine Rede zur
Wirtschaftspolitik hält, wird er über kurz oder lang fast zwangsläufig auch auf
die Arbeitsmarktpolitik kommen. Und er wird - fast zwangsläufig - die Mobilität
betonen, die in diesen Zeiten so wichtig sei. Nicht nur die berufliche
Mobilität, sondern auch und nicht zuletzt die räumliche Mobilität. Wenn in
Flensburg keine Schweißer mehr gebraucht werden, wohl aber in Berchtesgaden,
dann könne es doch nicht zuviel verlangt sein, wenn der Herr Schweißer seine
Sachen packe und samt Familie nach Berchtesgaden ziehe.
Hält derselbe Politiker in Bierzelt und Trachtenanzug dagegen eine
kulturkritische Rede, wird er - fast zwangsläufig - die Bedeutung betonen,
welche die Verbundenheit mit dieser Heimat für uns alle bedeutet. Beklagen wird
er, daß in diesen Zeiten die eigene Heimat nicht mehr viel gilt, daß viel zu
viele sich allzu bereitwillig entwurzeln ließen und jetzt wurzel- und damit
ziellos in den Abgrund taumelten.
Das erste ist die Nadelstreif-Maxime, das zweite die Trachtenanzug-Rhetorik.
Beides sind Wegwerf-Maximen, Maximen also von hohem moralischen Rang, die ich
für eine bestimmte Argumentation in Anspruch nehme, um sie sofort anschließend
wieder zu vergessen, weil sie mir bei anderer Gelegenheit schwer im Weg stehen.