Rainer Werner Fassbinder -
Der Macher von
Verzweiflungs-Klamotten
Es gibt Leute, die in ihrem Sozialleben behindert sind, weil
sie unter stetig rieselnden Schuppen leiden. Andere wiederum werden durch
unstillbare Achselnässe zum gemiedenen Außenseiter. Mir macht in dieser Hinsicht
der Fassbinder zu schaffen, der
Fassbinder. Na nun, nicht er selber natürlich; noch nicht mal seine Filme
sind es - eigentlich -, die mich belasten (Simples Nicht-Ansehen wäre hier die
Therapie der Wahl).
Meine Haltung zu diesen Filmen ist es, die einen
tiefenbreiten Graben aufwirft zwischen mir und gar zu vielen anderen. Da kann
ich fragen, wen ich will, da kann ich lesen, was ich mag: die Leute lieben des
Fassbinders Filme. Punkt. Da wird dies kritisiert und jenes bemängelt, das zwar;
unterm Strich aber mögen sie seine Filme, sind "begeistert", "betroffen",
"aufgewühlt" und "angeregt"; und wenn all dies nicht, so wenigstens "provoziert"
- produktiv, versteht sich. Provokation ist das mindestes, was man von einem
Genie jedwelcher Art billigerweise erwarten darf. Verlegen mit den Füßen im Sand
scharrend steh' ich da und werfe ein, daß dieser geniale Rainer Werner
Fassbinder mich langweilt, sehr langweilt und nichts als langweilt, so wahr mir
Gott helfe. Noch nicht mal ärgern tut er mich, so wie ein Zombie-Blutwurst-Film
mich zu ärgern vermag. Rainer Werner Fassbinder ist für mich der
meistüberschätzte Blender der 70er.
Ein Kaffeehaus in Sirup
Es mag irgendwann 1969, vielleicht auch erst 1970 gewesen
sein, als in der "Süddeutschen Zeitung" ein gewisses "antiteater" in der "Witwe
Bolte" (hinter der Universität) ein Stück ankündigte: "Das Kaffeehaus nach einer Komödie von
Carlo Goldoni, bearbeitet und inszeniert von R. W. Fassbinder". "antiteater"
klang schwer experimentell und avantgardistisch, "Komödie" ließ hoffen, es werde
nicht gar zu unerträglich genialisch werden. Ging also hin, bestellte ein Bier
und harrte der versprochenen Kunst, die da - ohne Bühne - auf einer Fläche
mitten im Lokal abrollen sollte.
"Rollen", das wurde bald klar, war nicht das richtige Wort.
"Rollen" nämlich ist dynamisch, wo etwas "rollt", da scheibt sich was; in der
"Witwe Bolte" aber scheibte (schob?) sich nichts an diesem Theater-/resp.
antiteater-Abend. Die Damen und Herren Schauspieler quälten sich durch eine Art
Sirup-Atmosphäre mit langsamen, mühvollen Bewegungen; immer in Gefahr,
irgendwann in der Bewegung vollends zur Skulptur zu veröden. Oder auch leblos
zusammenzusinken. Wenn aber einer der Akteure an diesem Abend verschieden wäre,
er wäre - ich schwör' es - er wäre mit einem Drittel, wenn nicht einem Viertel
jener Schleune zu Boden gesunken, die ansonsten die Schwerkraft für uns
gewöhnliche Menschen zwingend vorschreibt. Und seine letzten Worte hätte er
gedehnt/getragen, langsam und ohne jegliche Betonung abgesondert. Der kühlste
und nördlichste Hirnling noch legt in den Aussagesatz: "Und wenn Sie dann links
abbiegen, sehen Sie den Hauptbahnhof schon vor sich" mehr Leidenschaft als
Fassbinders Akteure in ihren dramatischen Bühnentext.
Während der ersten halben Stunde dieser denkwürdigen
Aufführung rieb ich mir in vergnügter Vorfreude die Hände. Zwar hatte ich schon
mal gehört von der dumpfen Bräsigkeit der Avantgarde - das
aber, so schien es mir in kindlichem Glauben, konnte nur Satire sein.
Eine kurze Zeit lang würde man das grausame, öde Spiel noch treiben. Dann
aber... hihihi...
Die Publikumsbeschimpfung findet nicht statt
Dann aber würde der
Obermotz dieser - vorgeblichen - Lasch-Truppe mit herrisch-dramatischer Geste -
vielleicht auch ganz nonchalant und nebenbei - jener absurden Situation ein Ende
bereiten, daß ein Häufchen - vorgeblicher - Dilettanten den absoluten Schotter
aufführt und eine Menge Leute sich eben diesen Schotter anguckt, ohne Jammern
und Murren. Die Truppe würde dann mitten im Saal sich aufbauen und das
höflich-geduldige Publikum gnadenlos schelten ob dieser spießigen Geduld, dieser
Stadttheater-Höflichkeit.
"Laßt ihr kleinbürgerlichen Ärsche..." - (kleinbürgerlich war
in diesen Zeiten ein beliebtes Schimpfwort) - "Laßt ihr kleinbürgerlichen Ärsche
euch eigentlich jeden Mist
widerstandslos in's Bier kippen?"
Genauso würde man es in den Saal brüllen und es würde eine
Diskussion sich entzünden und nach der Diskussion würde dann richtiges, spannendes, lebendiges
Theater gespielt werden. Ein interessanter und kurzweiliger Abend würde das noch
werden.
Ein Scheißdreck wurde das.
Es dachte niemand daran, das Stück abzubrechen. Das ging so
weiter, das zog sich hin, ich-weiß-nicht-mehr-wie-lange. (Gerade die
Langweilerkunst zeichnet sich oft durch Überlänge aus - Je Ödsack, desto dauert
das.) "Stets mußte er ausprobieren, wie weit er gehen konnte, wieviel sich die
Leute von ihm gefallen ließen", schrieb Peter Buchka in der SZ vom 9. 2. 82. Das
würde eine Menge erklären; Peter Buchka bezog diesen Satz aber gar nicht auf
Fassbinders Werk, sondern auf seine Art, mit Menschen umzugehen; besser:
umzuspringen.
Der Meister selbst mußte damals - so las man's später - in
diesem Grave-Gravissimo-Gewimmel durchaus und höchstselbst mitgetrant haben.
Aufgefallen ist er mir nicht; kein Schwein - und ich am allerwenigsten - kannte
ihn damals. Und nach dieser obermiesen
Inszenierung - so dachte ich in der jugendlichen Einfalt meiner 20 Jahre - wird
auch kein Schwanz mehr je nach diesem R. W. F. krähen ().
Das zweite Stück, dieselbe Masche
Die Erfahrung, daß dies "Kaffeehaus" von Fassbinder
ernstgemeint war vom Gebein her (),
hat mich seinerzeit tief verstört; so tief und nachhaltig, daß ich's nicht
glauben mochte. Es wollte mir nicht in den Kopf, daß Leute meiner Generation -
paar Jahre älter nur - all diesen gravitätisch verschmockten Verzweiflungstinnef
produzieren konnten, ohne irgendwann selber lachen zu müssen drüber. Ich hatte
die subtile Ironie nur noch nicht auf Anhab verstanden. Genau - so mußte es
sein.
Es traf sich daher günstig, daß in einem der Münchner
Filmkunstkinos ein Streifen eben jenes R. W. F. und seines antiteater-kollektivs
lief: "Götter der Pest". Ein - wie es in Nachrufen später heißen wird -
"Gangsterfilm in der Tradition Hollywoods".
Hl. Bogart! St. Cagney, hilf!!
Ein Film in endlos langen Einstellungen, in denen nichts
passiert. Irgendwelche abgefuckten Typen hängen in einer Wohngemeinschaftsküche
rum, brutzeln sich was. Um nichts zu verfälschen - das echte Leben, das wahre
Leben - wird dem Zuschauer das Bereiten des Mahles ungekürzt dokumentiert. Bloß
gut, daß irgendwann einer dieser Leute auf die Idee kommt, eine Platte von Karl
Valentin aufzulegen. Sie wird in - Sie ahnen's mittlerweile schon - voller Länge
gespielt. Der kurzweiligste Abschnitt des ganzen Films: Augen zu und der Platte
gelauscht. Die Störung durch Dialogfetzen ist gottlob minimal.
Irgendwann ist Gelatsche auf einem Feldweg angesagt. Langes
Gelatsche. In einer Einstellung. Öde Dialoge. Offensichtlich so, wie's den
Schauspielern im Moment der Aufnahme gerade eingefallen ist. Orthodox
spontan.
Eine - vom ökonomischen Standpunkt - geniale Art, Filme zu
drehen. Kamera aufstellen, laufen lassen und die Schauspieler irgendwie machen
und reden zu lassen. Eine erfolgreiche Masche auch: die Filmkritik kann jemand, der 11 Filme in zwei
Jahren dreht und in die Kinos bringt, nicht ignorieren. Das dezente Prinzip der
Penetranz.
Der Held ist tot - gottlob! - der Film ist aus
Ach so, ja: die "Götter der Pest". Irgendwann zum Schluß zu
passiert dann noch ein Überfall auf einen Supermarkt. Sie vermuten richtig: auch
bei der Gelegenheit artet des Meisters Genie nicht in Action aus. Einer oder
mehrere der Helden gehen bei der Gelegenheit des Überfalls drauf. Der Zuschauer
registriert dies mit Behagen, so wie er den Untergang von Fassbinders Helden
stets mit Genugtuung verfolgt, da ihr Scheitern das Ende des Filmes erwarten und
erhoffen läßt. Herr R. hängt nach seinem Amoklauf endlich am Fensterkreuz -
sieht richtig putzig aus, der dicke Kurt Raab -, das Gequarke hat ein Ende. Der
Händler der vier Jahreszeiten hat sich - es wurde Zeit - totgesoffen. Obwohl
gerade er mir ein bißchen leid getan hat, hatte er doch das Verdienst, die
unsägliche Triefnase Irm Hermann bei Gelegenheit eines Ehestreites ganz
ordentlich vermöbelt zu haben. Dank ihm.
Das hört sich alles ein bißchen zynisch und reichlich
menschenverachtend an und ist es doch nicht. Das kommt daher, daß von
Fassbinder-Helden die Rede ist, nicht von Menschen, was einen Unterschied
macht.
Die Personen bei Fassbinder gewinnen im Laufe eines Filmes
nicht an Kontur, sie und ihr Schicksal bleiben mir wurscht bis zum Ende. Das
liegt daran, daß Fassbinders Schauspieler nicht "spielen". Sie plappern gelassen
den Text, bewegen sich nur angedeutet. Erste Probe, grobe Skizze. Das Geschehen
labbert vor sich hin, ohne rechtes Leben. Irgendwelche Anteilnahme am Geschehen
will sich nicht einstellen.
"Verfremdungseffekt!" schreit da Einer, und: "Glotzt nicht so
romantisch!"
"Seine Stücke kommen aus dem Kopf", murmelt ein Anderer.
Ich denke darüber nach und meine: "nein."
Nein, für den Mangel an Gefühl werden wir nicht entschädigt
durch "Stücke aus dem Kopf". Die Drehbücher, die - meist vermutlich
improvisierten - Dialoge sind schludrig und skizzenhaft wie die Spielweise. Eine
verheerende Kombination.
Sein - seien wir höflich - unterkühlter Inszenierungsstil
bräuchte einen brillanten, ausgefeilten Text und seine grob skizzierten,
schlampigen Drehbücher - die er angeblich häufig "bei lauter Musik in Cafés und
Bars" schreibt (stern, 16. 9. 1982) - ließen sich allenfalls ertragen, wenn
exzellente Schauspieler die Schwächen "zuspielten", notfalls auch
"überschmierten".
Von den Wonnen der Verzweiflung
In ihrem - im übrigen hymnischen - Nachruf auf R. W. F.
schreibt Ponkie in der AZ vom 11. 6. 1982: "Er dachte oft, wie er redete:
Schlampig und provozierend banal - und so filmte er dann auch."
Daß er sich das leisten konnte, über viele Filme hindurch,
verdankt er, so argwöhne ich, seiner strengen Askese, was Komödien anlangt.
Hätte er Komödien gemacht, er wäre mit seiner "provozierend banalen" Masche
längst auf den Bauch geknallt. Zu unbarmherzig entlarvt sich in der Komödie jede
unpräzis gesetzte Pointe, jeder Schnitzer in der Konstruktion.
"Wir neigen dazu, Verzweiflung ernster zu nehmen als das, was
man 'entfesselte Humorigkeit' nennt: billiger Humor ist rasch entlarvt, auf
billige Verzweiflung fallen wir leichter herein." (Heinrich Böll,
dtv-sonderreihe 11, S. 120). Klaus Lemke, der Ulk-Fassbinder, hat diesen feinen
Unterschied nicht hinreichend beachtet: zwei, drei nette Lustspiele wurden ihm
gelobt, dann war seine Masche verbraucht und vom "kritischen Publikum"
durchschaut. Niemand, der auf sich hält, vermag die immergleiche Cleo Kretschmer
in immergleichen Szenen sehen, während die unvermeidliche Hanna Schygulla immer
noch auf die altbewährte Weise scheitern & zerbrechen darf. Schaluchz!
Der Ordnung und der Fairneß halber: Was immer Fassbinder nach
1971 (!) gemacht hat, kann ich nicht beurteilen. Ich habe es nicht mehr zur
Kenntnis genommen. Mag sein, daß er in späteren Jahren, als er längst berühmt
war, das Handwerk gelernt und ordentliche Filme gemacht hat. Was in den vielen,
lobenden bis überschwenglichen Kritiken über sein Werk zu lesen stand, läßt aber
nicht viel Gutes ahnen.
- Das Kaffeehaus |
1969 |
- Katzelmacher |
1969 |
- Götter der Pest |
1969 |
- Rio das Mortes |
1969 |
- Der Händler der vier Jahreszeiten |
1971 (angeblich "ein frühes Meisterwerk" (Ponkie, AZ) |
Fünfmal Fassbinder gesucht und
fünfmal Mist gefunden. Wer wäre so grausam, mir auch noch den sechsten
Fassbinder-Film zuzumuten?
Wolfram Heinrich