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VON DER EITELKEIT DES HELFENS

Eine Broschüre des Justizministers zur Bewährungshilfe

Die Chinesen - man weiß es längst - sind ein schlaues Volk. Der ganze Osten - wenngleich er es niemals zur Erfindung der Dampfmaschine und des Zinsfußes gebracht hat - ist überhaupt recht gut drauf, was die Absonderung allgemeiner Sprüche und Weisheiten betrifft. Einer dieser netten und wahren Sprüche teilt uns mit, ein Bild sage mehr als tausend Worte.

Den für unsere kurze Betrachtung absolut irrelevanten Fernen Osten dieselflink hinter uns lassend, schnappen wir uns eine Broschüre des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz über die ehrenamtliche Mitarbeit in der Bewährungshilfe und schlagen sie nicht auf. Wir lassen das Heft vor uns liegen und begucken uns aufmerksam das Titelbild, lassen uns anmuten von den mehr als tausend Wortäquivalenten des Bildes.

EIN MANN, EIN MANN

Wir sehen zwei Männer, zwei junge Männer. Zwei Freunde? Sicher nicht, die Ungleichheit in Aussehen und Körpersprache ist zu offensichtlich, läßt auf eine recht asymmetrische Beziehung der Beiden schließen.

Schlank, hochgewachsen der Eine, aufrecht stehend mit geraden Schultern; einen Kopf kleiner der Andere, mit gebeugtem Rücken und hängenden Schultern. Während der Eine einen eleganten, dunklen Anzug mit entsprechenden Schuhen trägt, muß der Andere mit Freizeitschuhen und einer zwar sauberen, aber eher schlichten Kleidung vorliebnehmen. Obwohl beide nur von hinten zu sehen sind, ist die Wette erlaubt, daß der Große Krawatte trägt, während der Kleine mit offenem Hemd ausgestattet ist. Selbstbewußt blickt der Eine den Anderen an, berührt ihn aktiv, zugreifend an der Schulter, während der Andere verhuscht zu Boden in's Leere guckt, die Berührung duldet, dulden muß. Selbst die Hautfarbe ist auffallend verschieden: heller Haut beim Greifer steht dunkler Teint beim Ergriffenen gegenüber, Bartstoppeln schimmern selbst durch die rasierte Haut noch. Dunkle Haut zwar, aber beileibe keine sportliche Bräunung.

Wenn ich den Titel der Broschüre angucke, auf dem das Bild zu finden ist, so liegt der Verdacht nahe, hier sollen durch zwei Photomodelle ein Bewährungshelfer und dessen Proband dargestellt werden. Weiters ist davon auszugehen, daß die Gestalter des Heftes sich was gedacht hatten, als sie ausgerechnet dieses Bild für ausgerechnet diese Broschüre auswählten.

Dies Titelbild ist ein Programm.

EIN MANN, EIN WICHT

Wir sehen den sauberen, anständigen ,Mann der Mittelklasse; ein Herr mit jeder Faser seines pflegeleichten Anzuges - und offensichtlich zu Recht ein Herr. Überlegen. Die Situation im Griff. Nimmermehr und keinen Finger breit von Gottes Wegen abgewichen; Treu & Redlichkeit jahrelang geübt bis zur Perfektion. Dankenswerterweise gibt er sich überhaupt ab mit dem Wicht, dem Wurm, dem Verbrecher. Von Haus aus schmuddelig, verdankt dieser es lediglich der eben stattgehabten Entlassung aus einem properen Gefängnis, daß er sauber - wenn auch einfach - gekleidet ist, ordentlich gewaschen und leidlich wohlfrisiert. Viel hat er sich vorgenommen, der Herr mit der aristokratischen Figur und der distanzschaffenden Art der Berührung. Nicht weniger, als aus diesem gestrauchelten Proleten einen halbwegs brauchbaren Menschen zu machen. Schwer wird es werden, bei diesem nachgeholten Prozeß der Menschwerdung, aber wir werden es schon schaffen. Ich. Und Ich. Und bißchen auch Du. Kopf hoch, Junge - aber nie die Nase zu hoch tragen, so hoch wie ich etwa.

Aus dem Bild tropft uns Verachtung entgegen; die Verachtung seiner Macher und Auftraggeber für den Probanden eines Bewährungshelfers. Selbstlose Hilfe als eitle Bekräftigung der eigenen Überwertigkeit.

GELASSENHEIT

Oh nein! Das wird Du nicht tun. Du hockst Dich jetzt nicht hin und schreibst einen empörten Brief an's Justizministerium. Stell' Dir bloß mal vor, die reagieren darauf und bringen in der nächsten Auflage dieser Broschüre ein anderes, besseres Bild; irgendeinen albernen Staatslöwen vielleicht.

Was hätte sich geändert? Die Verachtung wäre keineswegs verschwunden, sie wäre nur besser kaschiert und nicht mehr so einfach nachzuweisen. Dir wird doch auch nicht wärmer, wenn Du das Thermometer mit einem Streichholz hochtreibst.

Laß also ab.


abgedruckt in "rm - regensburger monatsmagazin" 07/83