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Einfühlung
Journalisten... also
Reporter... also solche Journalisten, die nicht nur Agenturmeldungen redigieren
oder kommentieren, machen gerne mal verdeckte Recherchen. Sie mieten sich zum
Beispiel eine Billigwohnung und leben dann ein oder zwei Monate lang von Hartz
IV oder - drastischer noch - sie verkleiden sich als Penner und verbringen dann
ein oder zwei Monate als Obdachloser auf der Straße. Hautnah erleben sie die
Entbehrungen, Gefahren und Demütigungen eines Pennerlebens auf eine sehr
authentische Weise am eigenen Leibe und schreiben dann eine informative und sehr
bewegende Reportage über das Erlebte. Sie wissen nun aus eigener Erfahrung, was
es heißt, arm zu sein, was es heißt, am Rande der Gesellschaft zu leben.
Sie wissen es und sie
wissen es nicht.
Sie teilen eine
bestimmte Zeit lang alle jene konkrete Erfahrungen, die ein Penner macht, mit
den Obdachlosen, mit denen sie zusammenleben. Sie frieren des Nachts, wenn sie,
unzureichend geschützt, unter Brücken schlafen, sie müssen zusammen mit den
anderen um Nahrung anstehen bei irgendwelchen Armenspeisungen, sie haben keine
oder nur unzureichende Möglichkeiten für Körperpflege, sie werden wie die
anderen von normalen Bürgern verächtlich angeschaut, beschimpft, verjagt, sie
landen vielleicht auch mal in der Arrestzelle der Polizei.
Sie leben tatsächlich
das bittere, so gar nicht romantische Leben eines Obdachlosen. Und sie tun es
nicht.
Was sie von den
anderen Obdachlosen unterscheidet, die genauso frieren wie sie, die genauso
hungrig bei der Caritas anstehen, die genauso schief angesehen werden wie sie
selber, das ist der Umstand, daß sie
· wissen,
daß dieser Zustand ein Zustand auf Zeit ist und
· daß sie
diesen Zustand jederzeit auch vorfristig wieder beenden können.
Ein extrem kalter
Wintertag, an dem er zu erfrieren droht und er kehrt in seine Wohnung zurück,
um sich aufzuwärmen. Was der Journalist mit den Obdachlosen teilen kann, das
sind eine Menge authentischer Erfahrungen über deren Leben. Was er aber nicht
simulieren kann (eben, weil es eine Simulation ist), das ist die Existenzangst,
die mit einem solchen Leben verbunden ist, das Gefühl der Ausweglosigkeit.
Das erste Mal über so
etwas nachgedacht habe ich noch als Kind, anläßlich der entsetzlichen Leiden
Christi am Kreuz, die mich (natürlich) sehr beeindruckt haben. Dann aber dachte
ich: Wenn Christus wirklich Gott selber ist, wenn er vom Himmel kommt und dies
weiß; wenn er also nicht, wie wir, an Gott und das Jenseits glauben muß,
sondern aus eigener Erfahrung weiß,
daß es dieses Jenseits wirklich gibt... dann, ja dann leidet er wie ein Mensch
und tut es doch nicht.
Dann kann er nämlich
quasi aus sich raustreten und seine Situation von außen betrachten. Er leidet
als Mensch und steht doch als Gott über dem Leid. So dachte ich damals.
Auf den Gedanken, daß
mit der ganzen Geschichte mit Christus und Gott etwas nicht stimmen könnte, bin
ich allerdings erst deutlich später gekommen.
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