Nachdem Hans Sedlaceks Geschichte "Fahles Licht" erschienen war,
reagierte die Fachwelt erfreulich aufmerksam auf den neuen Dichter,
Sedlacek wurde zu Lesungen und Podiumsdiskussionen in kommunale
Kulturzentren eingeladen.
In
München-Milbertshofen war nun zu einer solchen Lesung mehrerer Jungautoren
erstmals ein überregionales Fernsehteam nicht nur eingeladen, sondern auch
tatsächlich erschienen. Nicht wegen der unbekannten Jungautoren, sondern wegen
der lokalen Kritikerprominenz, die zu diesem Ereignis ihr Erscheinen fest
zugesagt hatte.
Als
Sedlacek aus seiner deprimierendsten Geschichte eine Szene von geradezu
abstoßender Hoffnungslosigkeit las, gab er - vor laufenden Fernsehkameras! -
auf eine ausgesprochen obszöne Weise ungezügelte Würgelaute von sich;
Würgelaute, wie sie heftigem Erbrechen voranzugehen pflegen. Verwirrt,
verzweifelt, zu der verzweifelt verwirrenden Geschichte passend, die er gerade
las, sah sich Sedlacek um und griff dann nach einer wie zufällig neben ihm auf
dem Boden stehenden Papiertüte.
Die
etwas Älteren erinnern sich noch an die dramatischen Fernsehbilder, die damals
in allen Feuilletons wieder und wieder gezeigt wurden; an die zahllosen
Diskussionen darüber, ob man diese Szenen nun hätte zeigen sollen oder nicht -
wobei man, der besseren Verdeutlichung wegen, diese Szenen neu und stets noch
mal neu zeigte, in Zeitlupe und rückwärts, mit und ohne Ton.
Mit
einem letzten, gräßlichen Würgelaut hatte Sedlacek die Papiertüte gepackt und
dann hemmungslos seinen Mageninhalt in diese Papiertüte entleert. Anders
ausgedrückt: Vor laufenden Fernsehkameras, während einer mit hochkarätigen
Literaturkritikern besetzten Autorenlesung kotzte Sedlacek in eine Tüte. Das
alleine wäre bereits eine Meldung in sämtlichen Feuilletons wert gewesen.
Sedlacek aber zog nun, durch den befreienden Akt gesundheitlich sichtlich besser
gestellt, aus seiner Rocktasche einen, wie zufällig dort sich befindlichen
Löffel und begann vor den Augen des entsetzten Publikums - und vor laufenden
Fernsehkameras, wie gesagt - die weiße Masse mit etlich darin befindlichen
roten Brocken stetig löffelnd zu essen. Ein Gutteil des Publikums wurde erst
blaß, dann grün; würgende Laute waren zu hören, die rasch an Zahl und
Intensität zunahmen.
Der
Sachschaden war beträchtlich. Zu den Reinigungskosten für den Versammlungsraum
im Kulturzentrum kamen noch die jeweils individuell zu tragenden Kosten für
Reinigung oder Wäsche der beschmutzten Kleidungsstücke zahlreicher Besucher der
Veranstaltung.
Sedlacek
aber war mit einem Schlag weit über München hinaus bekannt, wurde rasch zu
einer bundesweit prominenten Persönlichkeit in der literarischen Welt. Kritiker
sprachen von der "beklemmenden Intensität" seiner deprimierenden
Texte, ein Kritiker wollte gar "immer schon" autokannibalistische
Komponenten in Sedlaceks Werk gefunden haben.
Die
Einladungen zu Lesungen mit anschließender Diskussion nahmen zu, schwollen an,
wobei jeder Veranstalter, jeder Besucher einer solchen Lesung natürlich heftig
abgestritten hätte, er hoffe auf eine Wiederholung des spektakulären
Kotzmahles.
Sedlacek
hütete sich natürlich, dergleichen zu tun. Zum einen, weil er nunmehr als
seriöser Autor etabliert war, zum anderen - und vor allem - weil er fürchtete,
man könnte ihm bei einer eventuellen Wiederholung des Tricks auf den in der
Tüte zuvor versteckten Fleischsalat kommen.