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Ein Blutbad

Es war ein Glückstreffer. Punkt.

Was immer die Sänger und Barden erzählen von Heldenmut und kraftvollen Hieben - in Wirklichkeit war es nichts als ein Glückstreffer.

Ich weiß nicht, ob Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht ha­ben, was das ist, so ein Drache. Siegfried hatte, aber, wer ihn kannte, hat sich nie gewundert, daß Siegfried für seine Taten be­kanntgeworden ist, nicht für seine Gedanken.

Ich meine, später wußte er es natürlich besser, aber damals er­schöpften sich Siegfrieds Vorstellungen von einem Drachen in Phanta­sien von einer Art Bär. Einem etwas größeren Bären viel­leicht, aber eben doch nur eine Art feuerspeiender Bär.

Nun ist natürlich auch ein Bär kein Spaß, und einen Bären zu töten kein Spaziergang. Aber wenn ein gut gerüsteter und im Gebrauch der Waffen geübter Krieger nicht gerade stolpert, wird er den Kampf mit einem Bären höchstwahrscheinlich bestehen. So groß und so stark ein Bär immer sein mag: Er hat kein Schwert und keinen Speer, trägt we­der Helm noch Brustschutz. Ein geschickter Krieger hat immer eine mehr als gute Chance gegen einen Bären. Wäre es an­ders, würde man die Leibeigenen auf Bären­hatz schicken.

Und dann stell dir den namenlosen Schrecken vor, wenn plötzlich aus der Höhle ein richtiger Drache kommt. Groß wie ein Haus, gepanzert wie eine Burg - und feuerspeiend! Als erfahrenem Kämpfer wird dir schlagartig klar, daß du gegen ein Monstrum dieses Kalibers keinerlei Chance hast. Und wenn du siehst, wie unglaublich schnell dieses Viech trotz seiner riesi­gen Ausmaße auf dich zuwatschelt, dann siehst du ein, daß Da­vonlaufen auch nichts mehr bringt. Das Ding holt dich auf jeden Fall ein, samt Pferd!

Und dann wirst du nicht einfach erschlagen, womit du als Krieger immer rechnen mußt. Du wirst gefressen, wirst gepackt von dem Vieh und verschlungen. Und wenn du Pech hast, stopft es dich mit den Füßen voran ins Maul und du kannst dir selber zusehen, wie du allmählich im entsetzlichen Höllenschlund des Drachens verschwin­dest.

Was machst du in so einem Fall?

Du nimmst deinen Speer und wirfst ihn in wilder, verzweifelter Wut auf den heranrasenden Drachen. Und wie du den scharfen Speer an dem dicken Panzer des Untiers einfach abprallen siehst, läßt du dir von deinem Knappen den zweiten, den letzten Speer reichen.

Und dann mußt du feststellen, daß dieser Idiot eben dabei ist, den zweiten Speer selber zu werfen. Du brüllst auf in rasendem Zorn und hörst wenige Meter neben dir den Drachen gurgeln vor Wut und schreien vor Schmerz. Drehst dich zur Seite und siehst, daß der an­dere Speer, der Speer deines Knappen, tief ins linke Auge des ver­fluchten Ungeheuers eingedrungen ist, mitten hinein in das winzige Hirn des riesigen Untiers.

Fassungslos wirst du Zeuge, wie der Drache wenige Meter vor dir in die Knie bricht, zuckt und schlägt und schreit und schließlich, nach endlos langen Minuten sterbend verröchelt.

Puh, das war knapp!

"Puh, das war knapp!" sagte ich noch zu Siegfried, aber der hörte mir schon nicht mehr zu. Er riß sich sein Schwert vom Gürtel, hob es hoch in den Himmel und rief etwas von "Der Drache ist tot" und daß er den gefährlichen Drachen der Gnita­heide erlegt hätte.

Er!

Aber lassen wir das. Angesichts dessen, was später kam, neide ich ihm den Ruhm des Drachentöters nicht.

Siegfrieds Triumphgeheul zog sich in die Länge, denn er wollte ganz sicher sein, daß das Vieh auch wirklich und endgül­tig tot war. Dann ging er auf den toten Drachen zu, um ihm mit einem einzigen Streich seines Schwertes den Kopf vom Hals zu trennen.

Selbst Siegfried, der starke Siegfried mit dem scharfen Schwert, mußte eine ganze Weile an dem verdammten Hals rumhacken, bis er end­lich den Kopf die­ses Biestes als Beweis seiner - seiner! - Heldentat mitnehmen konnte.

Bei dieser Hackerei war das heiße, dampfende Drachenblut eimerweise aus dem toten Körper der Bestie geflossen, hatte sich in einer Kuhle im felsigen Boden gesammelt, wo es einen richtigen kleinen Blutsee bildete. Einige Tropfen des herum­sprit­zen­den Drachenblutes hatte Siegfried während seines Hackens abbe­kommen. Als er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte, fiel ihm auf, daß sich überall dort, wo das Blut des ster­benden Drachens auf seine Haut gespritzt war, eine dicke Hornhaut gebildet hatte.

Er nahm sein Schwert, versuchte vorsichtig, die Stelle anzuritzen, kam aber nicht durch; drückte fester drauf und scheiterte. Schließ­lich zog er das Schwert in seiner ganzen Länge über die Stelle am Arm, drückte die scharfe Klinge so fest gegen die gehörnte Haut, wie es der stärkste Mann der Welt nur immer vermochte. Die Haut blieb heil. Nur sein Schwert, das beste Schwert, das je ein Recke am Gür­tel getragen hat, war an einigen Stellen schartig geworden.

Schnell hatte Sieg­fried kapiert, was das bedeutete.

Ich sagte noch zu ihm: "Siegfried, tu's nicht!", aber auf mich hört nie ei­ner. Das letzte Wort des kurzen Sätzchens war noch nicht ver­klun­gen, da war Sieg­fried schon voll in die rote, dampfende Brühe eingetaucht.

Nach diesem Blutbad verfügte Siegfried, Kämpfer und Held, über die beste aller Rüstungen: seine eigene Haut. Leichter als ein Hemd, war sie dennoch undurchdringlicher als Eisen. Nur an einer Stelle am Rücken, wohin vor dem Bade ein Lindenblatt gefallen war, blieb seine Haut so verletzlich und ungehörnt, wie sie es zuvor gewesen war.

Siegfried war der glücklichste Mensch der Welt. Wie ein Kind wollte er sein neues Spielzeug sofort ausprobieren. Tollkühn, da un­verwundbar, stürzte er sich in die nächste Schlacht, die in unseren unruhigen Zeiten leichter zu finden ist als ein satter Bauer. Bebend vor Glück mähte Siegfried die halbe Ritterschaft eines kleineren Kö­nigreiches nieder.

Schließlich zog er heim, sich als Sieger feiern zu lassen. Und fei­erte und trank und wählte sich für die Nacht Gudrid mit dem güldenen Haar. Jede aus dem Reigen der Schönen hätte er, der gefeierte Held und Mittelpunkt des Festes, haben können - und mit jeder wäre das gleiche passiert.

Am Ende des Festmahles nämlich machte sich Gudrid daran, ihrem Beischläfer durch kraulendes Kosen mit Arm und Bein den rechten Appetit auf sich zu machen.

Finger und Zehen hatte Gudrid sich schon wundgestreichelt, ohne daß sie Siegfrieds Aufmerksamkeit auch nur für einen Moment lang von den schlüpfrigen Scherzen und weinschäumenden Bechern seiner Freunde ab­gelenkt hätte. Nur einmal, als sie ihm am Rücken über die Stelle un­ter dem rechten Schulterblatt strich, drehte sich Siegfried kurz zu ihr um und fragte verwundert: "Is was?"

Seine Haut war dem Helden zur Rüstung geworden, so hart und so zäh und so sensibel wie ein altes Stück Leder. Und ungefähr so dehnbar.

Die einzige Stelle an Siegfrieds Körper, die von dieser Panzerung nicht betroffen war, war die Lindenblattstelle am Rücken.

Nicht der Penis. Der nicht.

Siegfrieds Penis war zwar mit keiner Waffe der Welt mehr verwund­bar, aber auch nicht länger dehnbar. Geschlechtliches Tun in jeg­licher Form, mit jeglichem Partner und was immer Gerät, war Sieg­fried künftig nicht mehr möglich. So angenehm das Kraulen am Rücken auch sein mag, als Gipfel der Erotik ist es doch eher dürftig.

Siegfrieds Depressionen nahmen bald beängstigende Ausmaße an, seine Wutanfälle waren schrecklich und opferreich.

Es ist wahr, Hagen hat den Helden von hinten mit dem Speer durchbohrt.  Hagen ist Siegfried bis zuletzt ein wahrer Freund geblieben.