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Warum ich betrunken fahre

Gespräch mit dem bekennenden Promillefah­rer F.

Sie sind vorbestraft?

Richtig, wegen Trunkenheit im Verkehr. Mei­ne 2,14 Promille haben mich rund 6.000 € und zehn Monate Führerscheinentzug gekostet. Wegen des fälligen Idiotentests war der Schein aber tatsächlich weit mehr als ein Jahr weg.

Eine schlimme Erfahrung...

In der Tat.

...die Ihnen eine Lehre war?

Vier Monate lang, ja. Seit drei Monaten fahre ich jedoch wieder betrunken.

So leichtsinnig macht Sie der Alkohol?

Der Alkohol hat damit nichts zu tun. Ich fahre wenn ich betrunken bin, aber nicht, weil ich betrunken bin. Das ist ein großer Unterschied.

Welcher? Besoffen ist besoffen.

Richtig, aber besoffen bin ich erst, wenn ich das Lokal verlasse. Wenn ich es betrete, bin ich nüchtern und ha­be den vollen Überblick über die Situation. Ich weiß. daß ich mit dem Auto die drei Kilometer nach Hause fahren möchte. Ich trinke also ein, zwei, drei Bier...

...und dann sind Sie zu betrunken, um noch zu wissen was Sie tun.

Blödsinn. Ich bin doch mit drei Bier nicht betrunken. Mit drei Bier bleibe ich ein Stück unter der 0,5-Promille-Grenze. Würde ich jetzt nach Hause fahren, würde mich jeder Polizist freundlich weiterwinken. Ich fahre aber nicht, sondern trinke weiter.

Ist doch bescheuert. Warum schütten Sie sich vor der Fahrt absichtlich voll?

Weil ich es will. Weil ich nicht aufhören will zu trinken, wenn der Spaß mit dem Alkohol gerade anfängt. Und was heißt eigentlich: „vor der Fahrt“? Ich trinke doch nicht, weil ich fahren will, sondern ich fahre, weil ich gerne in Gesellschaft trinke, deswegen weg fahren und irgendwann dann auch wieder heim fahren muß.

Die Promillefahrt ist also kein Zufall, weil Sie einen Filmriß haben?

Natürlich nicht. Das ist ja gerade der sprin­gende Punkt. Im Grunde weiß ich von Anfang an, daß ich betrunken heimfahren werde, weil ich betrunken heimfahren will. Wenn ich betrunken, also meiner Sinne nicht mehr ganz mächtig, einsteige, führe ich im Grunde nur aus, was ich zuvor nüchtern und bei klarem Verstand geplant hatte.

Das ist gemeingefährlich.

Bedauerlicherweise, ja. Vor allen Dingen aber ist es normal, im Sin­­ne von alltäglich. Fast alle Promillefahrten - nicht nur die meinen! - laufen nach dem Muster ab: Hinfahren-Saufen-Heimfahren. Abweichun­gen sind nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen „Kollegen“ die absolute Ausnahme.

Warum dieser Wahnsinn bei angeblich klarem Verstand?

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Der Spruch gilt vielleicht beim Roulette, aber nicht für hochriskante Verkehrsgefährdung.

Wer sagt das? Der Pfarrer oder Ihre Lebenserfahrung?

Die Vernunft sagt mir das.

Seien Sie vorsichtig, wenn Sie das Wort „Vernunft“ in den Mund nehmen.

Ich soll vorsichtig sein?

Weil die Vernunft auf meiner Seite ist. Stellen Sie sich vor, ich sitze angetrunken im Lokal, mein Wagen steht draußen und der Heimweg ist lang. Ich kann jetzt trotz des Alkohols einfach heimfahren, oder ich lasse den Wagen stehen und nehme mir ein Taxi. Mit dem Taxi ver­meide ich das Risiko. muß dafür jedoch zah­len. Einsteigen und Fahren ist dagegen einfach und kostenlos.

Wenn alles gut geht.

Ansonsten kostet es mich 6.000 €.

Oder mehr.

Oder weniger. Die 6.000 € liegen ziem­lich im Durchschnitt, habe ich erfahren. Das Risiko vermeide ich, wenn ich für beispiels­weise 15 € ein Taxi nehme.

Für nur 15 € hätten Sie sich demnach satte 6.000 € ersparen können. Wo bleibt da Ihre Vernunft?

Ich bin einmal erwischt worden. Glauben Sie, ich bin nur einmal betrunken gefahren?

Wirklich nicht.

Damit sind wir beim Kern der Sache. Wenn Sie dreimal im Jahr einen im Tee haben, dann wären Sie in der Tat verrückt, würden Sie wegen lächerlicher 15 € Ihren Führerschein aufs Spiel setzen. Ich hingegen bräuchte nicht nur drei Mal im Jahr ein Taxi, sondern öfter als dreimal die Woche. Allein um das Wochenende ohne Risiko für meinen Führerschein zu überstehen, müßte ich fünf- bis sieben Mal ein Taxi nehmen. Damit wäre ich 50 bis 100 € pro Wochenende los. Selbst bei vor­sichtiger Kalkulation komme ich auf zehn Taxifahrten in der Woche, mehr als 500 im Jahr, wobei die feuchten Sonderereignisse wie Karneval, Silvester, Schützenfeste noch gar nicht mitgezählt sind. Das Taxifahren wäre für mich und alle anderen, die oft und reichlich einen heben, auf Dauer so teuer, daß sich die Alternative rechnet.

Obwohl Sie auf diese Weise irgendwann Ihren Führerschein verlieren?

Ja, denn der Führerscheinentzug ist verdammt unwahrscheinlich.

Wie unwahrscheinlich?

Das Risiko, erwischt zu werden, liegt etwa bei eins zu tausend, eher geringer.

Sie meinen die Dunkelziffer, nach der auf jede entdeckte Alkoholfahrt tausend unentdeckte kommen?

Genau. Und jetzt denken Sie mal cool und praktisch und beutelbewußt: Im statisti­schen Schnitt spendiert das Schicksal uns Promillefahrern tausend Freifahrten, ehe die Falle bei einer Verkehrskontrolle zuschnappt. Dann kostet uns der neue Lappen 6.000 €. Um die zu sparen, hätten wir tausend Mal Taxi fahren müssen. Macht rund 15.000 €.

Aber Sie können nicht drauf vertrauen, daß es tausendmal dauert, ehe sie fällig sind.

Sag ich ja: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Es ist eine Frage der Statistik. Den einen oder anderen erwischt es schon beim zehnten Mal, den anderen hingegen nie. Ich zum Beispiel fahre seit über dreißig Jahren Auto, seit über dreißig Jahren fahre ich auch betrunken Auto. 500 Alkoholfahrten pro Jahr summieren sich in 30 Jahren auf 15.000 Taxitouren. Macht um die 230.000 €, die ich mir erspart habe. Wäre ich in den vergangenen dreißig Jahren konsequent mit dem Taxi gefahren, hätte ich mich buchstäblich um Haus und Hof gebracht. Verstehen Sie jetzt, warum ich betrunken fahre?

Nein, beim besten Willen nicht.

Weil ich es mir nicht leisten kann, nicht betrunken zu fahren.