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Gefährliche
Ausreden
"Du sollst nicht
lügen", heißt es,
aber...
Je nun, du sollst
auch eine ganze Menge
anderer Dinge nicht tun, tust sie aber trotzdem. Und wenn dir einer
dahinter kommt und dich beschuldigt - was machst du? Du stellst dich
blöd und behauptest, von nichts, aber auch von gar nichts etwas zu
wissen und das hättest du nie und nimmer getan. Und wenn sie dir
dann - so gemein sind manchmal die Leute - Beweise bringen, daß
du es doch warst, mußt du dir ganz schnell eine Ausrede einfallen
lassen.
"Erstens", sagte der
Angeklagte, "habe ich
das Fahrrad nicht gestohlen. Zweitens war es eh schon ziemlich kaputt
und drittens werde ich es bestimmt zurückgeben."
Und patsch! sitzt du
mit deiner Ausrede erst
recht in der Tinte. Und es ist nicht immer so lustig wie in der
bekannten Anekdote.
Amphetamin in
Ullrichs Urin
Da
gibt es zum Beispiel den Radrennfahrer Jan
Ullrich, der 1998 die Tour de France gewonnen hat. Wie viele
Leistungssportler - und so mancher normale Mensch auch - ist Jan
Ullrich
ein rechter Saufkopf. Das führte dazu, daß sie ihm Anfang
2002 den Führerschein genommen haben, mit immerhin 1,5 Promille.
Na ja, macht nichts,
der Maier Sepp hatte ihn
drei- oder viermal weg und immer mit über zwokommafünf
Promille.
Ich sag ja, daß
Leistungssportler
Saufköpfe sind.
Wie im Leistungssport
allgemein üblich,
nehmen die Sportler von ihren Funktionären empfohlene
Dopingmittel, damit sie gewinnen, während andere Funktionäre
versuchen, das Doping nachzuweisen, damit jeder denkt, das Doping im
Sport wäre eine Ausnahme.
Na ja, macht nichts,
ohne Doping sind heute
keine Pokale mehr zu gewinnen und ein paar Sportler erwischt's halt,
damit jeder sieht, wie sauber der Sport eigentlich ist.
Im Juni 2002 war Jan
Ullrich dran. Er
mußte ins Röhrchen pinkeln und patsch! hat man Speed drin
gefunden.
Speed ist ein
Zaubermittel, das dir hilft,
nicht nur die Tour de France zu gewinnen, sondern auch die Disco-Sause
bis früh um neune durchzustehen.
Ein Sportler von
Format hätte in dieser
Situation gesagt:
- Leute, ohne das
Zeug gewinnt keiner die Tour de France oder sonst ein
Rennen. Ich hab's probiert, ihr habt mich erwischt, tut mir leid.
oder
- Leute, ein
Leistungssportler steht heutzutage unter einem wahnsinnigen
Streß. Den hältst du ohne chemische Tröster einfach
nicht durch.
Jan
Ullrich jedoch gab nach einigen Tagen
folgende Erklärung dazu ab: Er sei in einer Münchner Disco
gewesen, habe schon einiges getrunken gehabt. Ein ihm völlig
unbekannter Mann habe ihm Tabletten angeboten, die er
"unbewußt" gekauft und dann auch genommen habe. Das sei
eine Dummheit gewesen. Er habe überhaupt keine Ahnung gehabt,
welche Tabletten das gewesen seien.
Das mußt du dir
mal vorstellen: Da
kommt ein völlig unbekannter Mensch auf dich zu und bietet dir
Tabletten an. Der Mann ist offensichtlich kein Apotheker, die Tabletten
sind offensichtlich kein Aspirin. Auf Nachfrage verweigert der Mann dir
jede Auskunft über die Art der Tabletten, nennt dir lediglich den
Preis. Du zahlst den Preis, nimmst die Tabletten, ohne die leiseste
Ahnung, was das für ein Zeug ist, das du dir einschiebst, ohne den
leisesten Grund, dem Unbekannten, der dir die Tabletten gibt, auch nur
ein Mindestmaß an Vertrauen zu schenken.
Nähme man Jan
Ullrichs Ausrede ernst, so
stünde er als ein Mensch da, der völlig neben der Kappe
steht, zu aberwitzigen Handlungen fähig.
Hinrichtung -
echt?
Hans
Karl Filbinger kennen die Jüngeren
schon nicht mehr - und das ist gut so. Als Hans Karl Filbinger noch
Ministerpräsident von Baden-Württemberg war, wurde
ihm vorgeworfen, er habe im Jahre 1945 als Anklagevertreter beim
Militärgericht wegen Desertion die Todesstrafe gefordert.
Filbingers erste
Reaktion war, alles
abzuleugnen. Nein, das sei alles erlogen, nichts als eine schmutzige
Kampagne gegen ihn. Daraufhin legte man, was zu erwarten war, Dokumente
vor, welche den Sachverhalt eindeutig bewiesen. Filbinger hatte die
Hinrichtung nicht nur gefordert und durchgesetzt, sondern ihr auch
beigewohnt und den ordnungsgemäßen Ablauf protokolliert.
Ein Mann von Format
hätte in dieser
Situation gesagt:
- Ich hab's
zuerst mit Leugnen versucht. Tut mir leid, war falsch.
- Richtig, Leute,
ist vielmehr: Auch ich bin damals der Faszination der
Nazis/dem allgemeinen Druck erlegen, habe mich zum willfährigen
Werkzeug dieser Verbrecher machen lassen und bin dadurch schuldig
geworden.
- Das ist
inzwischen 29 Jahre her. Ich habe mich gewandelt, mir tut alles
sehr leid. Ich möchte mich hiermit bei allen Angehörigen des
erschossenen Matrosen entschuldigen.
Hans
Karl Filbinger jedoch suchte sich mit
der Bemerkung zu entlasten, er habe diese Hinrichtung völlig
vergessen gehabt, habe nicht mehr dran gedacht.
Was uns Hans Karl
Filbinger mit dieser
Ausrede sagt, ist dies:
- Ich habe
während des Krieges so viele Leute in den Tod geschickt,
habe so viele Hinrichtungen gefordert, beschlossen, beobachtet und
protokolliert, daß ich mich nun wirklich nicht mehr an diese eine
erinnern konnte.
Oder:
- Ich, Hans Karl
Filbinger, bin ein derart eiskalter, brutaler Hund,
daß ich mich an eine Hinrichtung, die ich gefordert,
durchgesetzt, beobachtet und protokolliert habe, nicht mehr erinnern
kann.
Vergeltungsvergeltung
Anfang
Oktober 2002
gab es einen arabischen Raketenangriff auf eine jüdische Siedlung
im Gazastreifen, ganz bestimmt die Vergeltung für irgendwas. Zur
Vergeltung - rasend originelle Idee - rücken postwendend
israelische Truppen mit Panzern und Kampfflugzeugen in eine Stadt im
Gazastreifen ein, um dort "einige Hamas-Aktivisten
festzunehmen". Die Stadt gilt, wie üblich, als "Hochburg der
Hamas".
Die israelischen
Soldaten werden - wen
wundert's? - beschossen und schießen "in Selbstverteidigung"
zurück, wie später ein Militärsprecher betonen wird. Die
klassische Notwehrsituation: Kidnapper dringen in ein Haus ein, um
jemanden zu entführen. Sie werden beschossen und schießen in
Selbstverteidigung zurück.
Das Militär
feuert von Flugzeugen aus
einige Raketen auf die Stadt ab. Eine dieser Raketen explodiert in
einer Menschenmenge auf einem Platz. 10 bis 15 Menschen kommen ums
Leben, darunter Unbewaffnete, darunter Jugendliche.
Der israelische
Regierungssprecher vermerkt
zu diesem Vorfall, Schuld an den Toten hätten die
Palästinenser, da diese unbewaffnete Zivilisten als "menschliche
Schutzschilde" mißbraucht hätten.
Der
Regierungssprecher meint, er hätte
damit seine Regierung entlastet und alle Schuld dem bösen Feind
zugeschoben.
Was er uns aber sagt,
ist dies:
- Die dummen
Palästinenser haben sich mit ihren "menschlichen
Schutzschilden" verrechnet. Menschliche Schutzschilde setzen einen
Gegner voraus, der noch über ein Mindestmaß an Anstand,
Moral, Tötungshemmung besitzt. Wenn sich jemand, den wir haben
wollen, in einer Menge von einkaufenden Hausfrauen versteckt, dann
erschießen wir ungerührt so viele Hausfrauen, bis wir sicher
sind, daß auch der versteckte Feind darunter ist. Ist uns doch
scheißegal.
Es
ist gar nicht selten, daß entlastende Ausreden viel belastender
sind als die simple Wahrheit |
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