Arschenbecher
Auf seiner hoch über der Brenz gelegenen Burg saß
pfeiferauchend Graf Roland von Heidenheim und wartete voll Ungeduld auf das
Erscheinen der Bibelübersetzung von Dr. Martin Luther.
Graf Rolands Interesse an Literatur hielt sich in Grenzen.
Wie viele der Tradition verpflichtete Adelige seiner Zeit konnte er schlecht
lesen und gar nicht schreiben. Da er aber ein starker Raucher war, hatte er
nicht lange gezögert, als das Druck- und Verlagshaus Johann Gutenberg zu Mainz
die
Gantze Heilige Schrift
Teutsch
zum sagenhaft günstigen Subskriptionspreis von 60 Gulden
anbot. Zwei Nürnberger Kaufleute hatte Graf Roland entführen müssen, um sich vom
Lösegeld dieses Sonderangebot leisten zu können.
Als die Heilige Schrift nach einigen Verzögerungen
versandtechnischer Art endlich bei Graf Roland angelangt war, legte dieser
wohlig aufseufzend seine Pfeife beiseite und griff nach dem Wort Gottes, von dem
er sich Erlösung erhoffte.
Mit einem scharfen Messerchen schnitt er die erste Seite
heraus, um dann daraus mit einer Schere ein Stückchen Papier zu schneiden. Aus
seinem Tabaksbeutel holte er ein wenig des getrockneten Krautes, legte die
braunen Krümelchen auf das Stückchen Papier und drehte sich dann mit geschickten
Fingern eine Tabakstange. Mit einer Stückchen Holz aus
dem brennenden Kamin war die Zigarette schnell angezündet und Graf Roland tat
einen tiefen Zug.
Das war entschieden etwas anderes als die verdammte Pfeife,
auf die er seit mehr als einem Jahr hatte ausweichen müssen. Leichter zu
handhaben, lag die Zigarette auch noch eleganter in der Hand als der von seinem
Vater ererbte Tabakschmurgler. Und das Papier...
Der Buchdruck brachte
entschieden einen neuen Wind in diese alte Zeit. Das Hadernpapier des
Johann Gutenberg hatte im Rauch deutlich weniger störenden
Eigengeschmack als das aus der Bauchhaut von jungen Schafen gefertigte
Pergament. Graf Roland schauderte, wenn er an den tierischen
Nachgeschmack der mittelalterlichen Handschriften
zurückdachte.
Wie sehr er den Alten Zeiten auch anhing, Graf Roland war fair
genug, die Verdienste der Neuen Zeit dort anzuerkennen, wo er sie erkannte.
Nachdem er auf diese Weise fast die ganze Heilige Schrift
inhaliert hatte, zeigte sich die wundertätige Kraft von Gottes Wort. Beim
Rauchen der Geheimen Offenbarung des Apostels Johannes wurde Graf Roland die
Erkenntnis zuteil, es müsse erheblich preisgünstiger sein, statt eines Buches
lediglich Papier zu kaufen.
So gingen die Jahre ins Land und Graf Roland rauchte still
und zufrieden Zigarette um Zigarette. Mit zart-eleganter Geste, die so gar
nicht zu seiner sonstigen Art passen mochte, klopfte er in regelmäßigen
Zeitabständen die Asche ab. Sorgfältig zertrat er die Kippen auf dem Steinboden
seiner Gemächer.
"Hier sieht es aus wie in einem Saustall", sagte die Gräfin
mehr als einmal, wenn sie Mühe hatte, durch die dicke Schicht Asche und Kippen
zu waten. Sie hatte recht, das zwar. Aber man muß wissen, daß mittelalterliche
Burgen, als sie noch bewohnt waren, nichts anderes waren als zu Festungen
ausgebaute Schweineställe.
Graf Roland, der nie einer Fehde aus dem Wege ging und stets
zum blutigen Kampf bereit war, suchte Streit mit der Gräfin zu vermeiden, und
er wußte warum. Ihm, der Massaker liebte, wie andere Leute Sackhüpfen, ging der
häusliche Frieden über alles. Also dachte Graf Roland nach, wie er seine
Gemächer von Asche und Kippen sauberhalten konnte, ohne deswegen zum Rauchen auf
den Balkon ausweichen zu müssen. Da er zu keinem Ergebnis kam, fragte er jeden,
dem er begegnete, nach einer Lösung für sein Problem. Alle aber zuckten mit den
Schultern und wußten ihm keinen Rat. Und so füllten sich Graf Rolands Gemächer
mit Asche und Kippen und die Ehekrise der von Heidenheims wuchs sich zur
Gemächerschlacht aus.
Die Dichter aber, sie wissen alles. Als Ramwold, der
Minnesänger, auf seiner Deutschland-Tournee auch die Burg Heidenheim besuchte,
erwuchs dem Grafen Rettung. "Lasse dir doch", sagte Ramwold lachend, "vom Töpfer
einen Aschenbecher machen."
Graf Roland leuchtete dies ein und er schickte nach Niklas
Hainzlmayr, dem besten Töpfer von Heidenheim.
"Mache du mir", sagte der Graf zum Töpfer, "einen
Aschenbecher, auf daß es mir wohlergehe und du lange lebest auf Erden."
Niklas, der Töpfer, hatte den drohenden Unterton in Graf
Rolands Worten nicht überhört und versicherte eifrig, daß er sein Bestes geben
werde, dem Herrn Grafen den Wunsch nach einem Arschenbecher zu erfüllen.
Nun ist es umstritten und wird für immer ungeklärt bleiben,
ob Niklas, der Töpfer, schon ein wenig schwerhörig war oder Graf Roland etwas
undeutlich sprach, der Zigarette wegen, die er zwischen den Lippen hielt. Klar
ist und eindeutig bleibt, daß der Töpfer Hainzlmayr zeitlebens der Überzeugung
blieb, Graf Roland habe ihm den Auftrag zur Anfertigung eines
Arschenbechers gegeben.
Wie viele schwäbische Ingenieure und Handwerker seiner Zeit -
und dies bis heute - war auch Niklas ein hoffnungsloser Optimist und so
vertraute er darauf, er würde daheim, in der Werkstatt, schon drauf kommen, was
Graf Roland mit dem Worte "Arschenbecher" gemeint haben könnte.
Niklasens Hoffnungen erfüllten sich nicht und so fand
Edeltraud, die Töpferin, eines Nachts den Töpfer betrübt in seiner Werkstatt
sitzen.
"Was sitzt du so spät noch und grübelst düster?" fragte
Edeltraud ihren Gemahl.
"Ach, Frau", antwortete dieser seufzend. "Ich soll dem Grafen
einen Arschenbecher fertigen, niemand aber vermag mir zu sagen, was das
ist."
Frau Edeltraud mußte einsehen, daß dies wohl ein schweres
Problem sei, machte sich aber unverdrossen ans Werk. Sie unterzog das Wort
"Arschenbecher" der semantischen Analyse, so wie sie dies vom Schulmeister
einst gelernt hatte. Bald hatte sie die Wortbestandteile "Arsch" und
"Becher" herauspräpariert, was sie aber nicht weiterbrachte, obwohl ihr die
Worte vertraut waren. Erst als sie die Wortbestandteile wieder zusammenfügte,
wurde ihr der Wunsch des Grafen so deutlich wie eine Marienerscheinung.
Graf Roland, so verkündete sie ihrem staunenden Gemahl,
wünsche einen Arschenbecher. Und sie entwarf ihm einen Arschenbecher, wie die
Welt zuvor noch nie einen Arschenbecher gesehen hatte.
Nun, da die theoretischen Probleme gelöst waren, war die
Anfertigung ein Kinderspiel für den besten Töpfermeister der Stadt. Schon drei
Tage später konnte Niklas Hainzlmayr dem Grafen Roland seinen Arschenbecher
überreichen.
Graf Roland war zufrieden und er belohnte den Töpfer reich.
Die Größe des Aschenbechers überraschte ihn zwar, erfreute ihn aber wegen des
großen Fassungsvermögens.
Viele Jahre benutzte Graf Roland seinen Aschenbecher, zur
großen Freude der Gräfin, welche nun in den Gemächern des Grafen nur noch den
burgüblichen Saustall vorfand.
Obwohl der Lungenkrebs noch nicht erfunden war, forderte das
ständige Rauchen des Grafen schließlich doch seinen Preis. Im neunundsiebzigsten
Jahre stehend, wurde er das Opfer seiner Leidenschaft. Während der Belagerung
Bietigheim-Bissingens durchbohrte ihn des nachts ein
feindlicher Armbrustbolzen, als er gerade dabei war, sich einen Freudenstengel
anzuzünden.
Mit dem Tode von Graf Roland übernahmen Nichtraucher die
Herrschaft über Burg und Land. Der Aschenbecher wurde zum nutzlos herumstehenden
Möbel, bis 43 Jahre später Graf Eberhard von Heidenheim auf die Idee kam, die
hübsche Keramik als Kloschüssel zu verwenden.
200 Jahre später erfand ein anderer schwäbischer Ingenieur
und Handwerker die Ableitung der Exkremente aus der Kloschüssel. Die 200 Jahre
bis dahin gelten als die schlimmsten in der Geschichte der Burg.
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